Grün und der Rye Whisky
Etiketten in Grün? Essayistische Beobachtungen zu einem bemerkenswerten Industriestandard
Der Fall und die Renaissance des Ryes
Einstmals war Roggen das bevorzugte Getreide für amerikanischen Whisky. Das hatte mit seiner Bedürfnislosigkeit zu tun, aber auch mit den Erfahrungen der deutschen, niederländischen und schweizerischen Einwanderer. Sie hatten Roggen bereits in der Alten Welt destilliert und führten diese Tradition in der neuen Heimat weiter. Die iro-schottischen Einwanderer taten es ihnen weitgehend gleich. In Pennsylvania, Maryland und Virginia entstanden hunderte Brennereien, die in den formativen Jahren der Vereinigten Staaten die Dominanz des Rye Whiskys begründeten.
Doch weiter im Süden Marylands und im Westen Virginias gedieh eine Getreidesorte, mit der die meisten Einwanderer erst vor Ort in Berührung gekommen sind: Mais. Dessen Qualitäten als Komplementärgetreide in der Maische wurden in Maryland früh erkannt, sodass der Maryland-Style durch einen höheren Maisanteil bekannt wurde. An der sich immer weiter nach Westen verschiebenden Grenze Virginias bevorzugten die Siedlerbrenner den Mais bald ganz und gar. Diese ab 1795 als Bundesstaat Kentucky administrierte Region wurde die Heimat eines heute allseits bekannten Whiskys, des hauptsächlich aus Mais gebrannten Bourbon. Währenddessen blieb sich der Monongahela-Style Pennsylvanias traditionell roggenlastig.
Der Stern des Rye Whiskys begann im 19. Jahrhundert zu sinken, als Bourbon die USA eroberte. Den Todesstoß versetzte ihm aber die Weltkriege und vor allem die Prohibition. Nur eine einzige dezidierte Rye Whisky-Brennerei überlebte in Pennsylvania, Old Overholt, und das auch nur bis 1987. Kein anderer als Jim Beam kaufte die Rechte und verlagerte die Produktion des Ryes nach Kentucky. Statt allerdings dem Monongahela-Style zu folgen, nutzte Beam in der Maische möglichst wenig Roggen und möglichst viel Mais. Allein diese beiden Fakten illustrieren den jämmerlichen Status des einstmals so beliebten Ryes im 20. Jahrhundert.
Nach der Jahrtausendwende hingegen beobachteten wir eine regelrechte Renaissance des Ryes. An ihrer Spitze standen Barkeeper, die die würzig-herben Qualitäten dieser Art Whisky in Cocktails zu schätzen lernten. Stück für Stück stiegen der Bedarf und die Nachfrage. Die Brennereien reagierten und bald stand in den Regalen eine Vielfalt an Rye Whiskys, die kein heute Lebender auch nur ansatzweise je zuvor gesehen hatte. Der Rye war zurück.
Grün wird zum Standard
Die Überlebenden des großen Rye-Sterbens hatten ein für amerikanischen Whiskey typischen und beliebten Grundton von hellem Beige: Rittenhouse, Old Overholt, Jim Beam Rye und Wild Turkey Rye etwa. Die neue Garde dagegen setzte auf Grün. Wahrscheinlich den Anfang machte Michter’s Rye. In den frühen 2000ern suchte die noch junge Brennerei (wenn auch mit altem Namen) nach einem passenden Farbton für Rye. Rot erschien ihrem Präsidenten Joe Magliocco laut einem Interview unpassend: „Wenn ich an Rot denke, denke ich an Süßigkeiten. Grün ist etwas würzig, etwas kräuterig.“ Das wiederum beschreibt das Roggendestillat gut.
Anfang der 2010er Jahre entschieden sich weitere Schwergewichte für Grün, darunter Woodford Reserve und Bulleit. Sukzessive folgten immer mehr ihrem Beispiel, von den klassischen Whiskeyregionen Kentucky und Tennessee bis hin nach Texas: Elijah Craig, Ezra Brooks, George Dickel, Balcones und auch nicht amerikanische Rye Whiskeys wie der Crown Royal hatten entweder ganz grüne Etiketten oder wenigstens prominente grüne Anteile. Zwar gab es noch Ryes ohne nennenswerten Grünanteil, doch deren Zahl reduzierte sich relativ ebenso wie absolut. Relativ, da ständig neue Abfüllungen den Markt bereicherten, die der neuen Konvention Folge leisteten; absolut da sogar die Ryes der alten Garde eine Neugestaltung ihrer Labels erfuhren. Beim Wild Turkey Rye wandelte sich die Schrift zu Grün, Jim Beam ging gar auf ein ganz grünes Design.
Gerade bei traditionsreichen Namen kommt Grün eher zurückhaltend zum Einsatz, z.B. beim Pikesville Rye, doch im Grunde stemmen sich nur noch wenige gegen den neuen Industriestandard. Das geht so weit, dass es sich schon auf den Britischen Inseln festsetzt. Midletons erster 100% Rye aus der Powers-Serie wurde grün beschriftet und Johnny Walker genügte bereits die Reifung in einem Rye-Whiskyfass, um dem Grün zu huldigen; bei ihrem ‚echten‘ Rye dominierte es sogar noch mehr. Ja selbst in der Rum-Welt ist diese Farbkodierung angekommen und Bacardis Rum aus dem Ryefass folgt den gesetzten Beispielen.
Kontinentaleuropa als das gallische Dorf?
Wir befinden uns im Jahre 2024. Die ganze Welt bevorzugt Grün für den Rye. Die ganze Welt? Nein, ein von unbeugsamen Whiskybrennern bevölkerter Kontinent hört nicht auf, den neuen Industriestandard aus den USA zu ignorieren. Diesseits des Atlantiks und diesseits des Kanals gibt es eine reichhaltige Kultur des Roggenbrennens, die von der Renaissance des Ryes profitierte und ebenfalls neu erblühte. Besonders Deutschland ist die Heimat zahlloser Rye Whiskys und viele von denen sind ganz hervorragend.
Grün sucht man hier jedoch fast vergeblich. Glinas Rye aus dem Sherryfass, sowohl der fünfjährige als auch der achtjährige, haben ein grünes Etikett. Allerdings folgt dies keiner Farbkodierung. Glinas Einstiegs-Rye kommt mit einem beigefarbenen Label, ihre zwölf Jahre alten High-End-Ryes aus dem Portweinfass und dem Beerenweinfass sind braun respektive purpurn. Wie Glina in Brandenburg beheimatet ist die einzige Brennerei Deutschlands, die sich (fast) exklusiv dem Rye verschrieben hat, nämlich Stork. Die haben sich dieses Jahr brandneue Designs gegönnt, doch wieder ohne Grün als leitende Farbe.
Tatsächlich dauerte es viel zu lange, hier alle Brennereien anzuführen, die keine grünen Etiketten nutzen. Das betrifft Schwergewichte wie Nordhausen, bekanntere wie Slyrs, Nine Springs, Simons oder Finch, und derzeit noch weniger bekannte wie Kuling, Dotzauer oder Rittmeister. Und viele mehr. Hier drängt sich die Frage auf, warum das so ist.
Vielleicht ist es das Dasein der Nische (Rye) innerhalb der Nische (deutscher Whisky). Roggenwhisky ist hierzulande zwar unter Barkeepern beliebt, die in aller Regel die Entwicklungen in den USA genau beobachten. Die bevorzugen jedoch die klassischen US Ryes für ihre Cocktails. Der Kreis der Kenner in Deutschland weitet sich stetig, dennoch bleibt der Single Malt das Maß der Dinge. Zuletzt wendet sich ein Vorteil des deutschen Whiskys gegen ihn, die Regionalität. Die meisten Brenner produzieren ihren Whisky mit den Ressourcen der Region und vertreiben ihn dann primär dort. Selbst die überregional verfügbaren Marken gehören zu eher kleinen Operationen, die in den allerwenigsten Fällen auf die internationalen Märkte schauen, sondern allenfalls auf unsere Nachbarn. Eventuell ist die in den USA übliche Farbkodierung für Rye einfach noch nicht wahrgenommen worden. Da auf dem deutschen Markt keine solche Kodierung üblich ist, besteht jedenfalls kein Druck, sich dem amerikanischen Standard anzupassen.
Außerhalb Deutschlands gestaltet sich die Lage ganz ähnlich. Unsere nordischen Nachbarn lieben Rye Whisky noch mehr als wir, doch egal ob wir nach Finnland (Helsinki Distilling, Kyrö), Dänemark (Stauning, Thy) oder Schweden (Hven) blicken, Grün bleibt die Ausnahme. Sie dürften in einer ähnlichen Lage wie die deutschen Brenner stecken, zumal ihr größter Absatzmarkt nach der Heimat eben Deutschland ist.
Über das Entstehen eines Industriestandards und seine Verbreitung
Eigentlich ist weniger die Tatsache erstaunlich, dass Kontinentaleuropa sich dem Industriestandard noch nicht verschrieben hat. Vielmehr überrascht, dass sich dieser Standard überhaupt durchsetzen konnte. Keine andere Whiskyart hat eine solch stringente Farbkodierung erfahren, allenfalls die Etiketten von Single Malts mit Starkweinreifungen (Sherry, Port, etc.) sind bevorzugt, aber nicht durchgängig, mit Rot gestaltet – aus naheliegenden Gründen.
Denkbar ist, dass es früher einfach keinen Sinn hatte, Whiskyarten für den Verbraucher gesondert zu kennzeichnen. In den USA dominierte der Bourbon seit Prohibitionszeiten, auf den britischen Inseln der Blend. Erst in den späten 60ern begannen die Schotten, Single Malt weithin zu vertreiben. Selbst dann blieb eine gewisse geschmackliche Nähe und allein die Preisgestaltung vermied Verwechselungen. Kurzum, die Whiskywelt war im 20. Jahrhundert über weite Strecken nicht annähernd so vielfältig wie sie es heutzutage ist. Auf den internationalen Märkten waren iro-schottische und amerikanische Whiskys leicht voneinander zu unterscheiden, auch ohne farbliche Hinweise. Diese These hat etwas für sich, aber ebenso ihre Probleme. Denn ganz so eindimensional war die Welt des Whiskys auch im letzten Jahrhundert nicht. Mehr noch, eine Konkurrenzsituation besteht ja nicht zwischen den Arten des Whiskys, sondern zwischen Unternehmen. Diese gestalten ihr Branding so individuell wie möglich, um die Marke hervorzuheben, weniger die Gattung.
Allein, gerade in Bezug auf die Marke ist die Binnendifferenzierung wichtig. Die Bildsprache des Bourbon und des Rye spielt gleichermaßen die klassischen Topoi des alten Amerikas, sie unterscheiden sich vom Branding somit kaum. Innerhalb eines Brennereiportfolios tun sie das erst recht nicht. Sie farblich voneinander abzusetzen, ergibt unter diesem Gesichtspunkt Sinn. Und je mehr Sorten eine Brennerei bedient, desto eher setzt sie auf diese visuelle Unterscheidung bei den Labels. Woodford Reserve und Jack Daniel’s hat sich neben Grün für Rye etwa Blau für Single Malt festgesetzt. Beide Brennereien gehören zu Brown-Forman, sodass eine übergeordnet steuernde Hand federführend für diese Entscheidung war. Allerdings sei gesagt, dass Master Distiller Chris Morris selbst einfach nur die Farbe schön fand und keine tieferen Gründe vorliegen.
Überhaupt scheint die Bewegung hin zu Grün weniger das Ergebnis einer durch große Konzerne von oben festgelegten Entscheidung zu sein. Vielmehr folgten Brennereien schrittweise den Pionieren wie Michter‘s. Dies wiederum kann nur dann sinnvoll sein, wenn die Kundschaft diese Bewegung goutiert. Im Grunde entwickelte sich dieser Industriestandard damit aus einem Wechselspiel beider Seiten und hatte seinen Startpunkt im rein subjektiven Eindruck weniger Brenner, die Grün vor 20 Jahren für die geeignete Farbe hielten. Inzwischen sind jedoch wenigstens in den USA die gegenseitigen Erwartungshaltungen so verfestigt, dass eine andere Farbe vielleicht schon merkwürdig wäre.
Grün auch für deutschen Rye? Ja!
Der Industriestandard Grün als Folge einer sehr spezifischen Gemengelage hat sich bislang nicht auf Deutschland übertragen. Er sollte aber übertragen werden. Dies mag eine etwas kontroverse Empfehlung sein, da sich die Verhältnisse in den USA nicht ansatzweise mit denen des deutschen Marktes vergleichen lassen.
Ein entscheidender Vorteil jedoch bliebe auch hierzulande erhalten: die Profilschärfung des Rye Whiskys. Deutscher Rye Whisky ist ganz vorzüglich und muss sich auch in der Breite nicht vor dem amerikanischen Konkurrenten verstecken. Umso tragischer ist doch, wie wenig Beachtung die Gattung als solche erfährt. Eine kohärente Farbgestaltung wird ihre Sichtbarkeit steigern. Zwar weichen die deutschen Vertreter geschmacklich bisweilen deutlich von Ryes der Neuen Welt ab, so z.B. durch die wesentliche freie Fassauswahl, als artverwandt werden sie trotzdem noch erkannt. Und beim Single Malt stört es auch niemanden, dass die aromatische Bandbreite so groß ist. Im Gegenteil.
Gerade weil deutscher Rye noch in seiner Findungsphase steckt, wird diese optische Hervorhebung ihm in den Regalen guttun. Vielleicht werden sogar Fans des amerikanischen Ryes leichter auf ihn aufmerksam, darunter nicht zuletzt die so wichtige Barkeeperszene. Und hat sich erstmal ein Standard etabliert, steigt die Akzeptanz für jene Abfüllungen, die ihm Folge leisten. Es wäre zudem ein weiterer Schritt hin dazu, deutschen Rye nicht nur hervorzuheben, sondern ihn irgendwann auch zu definieren.
Noch sind wir davon nämlich weit entfernt. Noch insistieren manche deutsche Brenner auf einer völlig unsinnigen, schottisch geprägten Definition des Ryes als Grain Whisky oder anderen irreführenden Sperenzien. Sie degradieren damit den deutschen Rye zu einer abwegigen Unterart des Grains, der ja eigentlich durch Mais charakterisiert ist. Diese schottische Denomination gehört abgeschafft. Sie ist ahistorisch, nutzlos und gefährlich.
Den deutschen Rye einfach so zu nennen und mithilfe von Grün näher an ein amerikanisches Vorbild zu rücken, wird den gemeinsamen historischen Wurzeln beiderseits des Atlantiks gerecht. Es verdeutlicht eine Beziehung und eine Tradition, die leider in Vergessenheit geraten sind. Die Zeit ist gekommen, sie wieder aufleben zu lassen.
„Dieses Label zu haben, macht aus Kundenperspektive Sinn, selbst wenn es eine eigentümliche Verbindung [zwischen Rye und Grün] ist. Warum also gegen den Strom schwimmen? Die Leute gehen in einen Laden, mögen Rye und sehen das ihnen bekannte Grün – und kaufen dann.“
Noah Rothbaum
[…] Eine weitere gute Nachricht ist, dass der Rum mit 45% ABV stärker als der übliche Ocho und auch stärker als manche der anderen Cask Finishes ist. Die Flasche rundet den guten ersten Eindruck ab mit einem schweren Boden und großzügigen Reliefs und natürlich einem Korken. Und: das Etikett ist grün, wie sich das für Rye gehört. […]