Rye Whiskey und seine deutschen Wurzeln

Deutsche Wurzeln des Rye Whisky

vom Heiligen Römischen Reich in die Neue Welt (1495 bis 1816)

Whisky im Schmelztiegel

Die Geschichte des Whiskys kann nur schlechterdings nationalisiert werden. Auch wenn sich Iren, Schotten und andere darum streiten, wer Whisky nun erfunden hat, datieren die Wurzeln des Whiskys doch lange der modernen Nationenbildung vor. Sie sind vielmehr vor dem Kontext des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit zu sehen. So herrschte z.B. ein reger Austausch zwischen den Britischen Inseln, der u.a. einen fruchtbaren Islay-Traditionskern ins spätere County Antrim trug, der Bushmills noch bis ins 20. Jahrhundert prägte.

Die europäischen Auswanderer in der Neuen Welt fanden sich schon vor der Gründung der Vereinigten Staaten in einem kulturellen Schmelztiegel, der solche gegenseitigen Befruchtungen nicht nur ermöglichte, sondern begünstigte. Die Vernetzungen erfolgten entlang ökonomisch-topographisch sinnvoller Linien, nicht entlang ohnehin lange unklarer politisch-nationaler Grenzziehungen. Zwar waren die englischsprachigen Siedler in der Mehrheit und dominierten in den Kolonien, aber die Einflüsse der anderen Siedlergruppen sind bis heute unübersehbar. Dazu gehört auch der Rye Whiskey.

Der amerikanische Whiskey, und dabei besonders der Rye Whiskey, hat deutsche Wurzeln. Nicht allein deutsche Wurzeln – dafür war die Neue Welt viel zu offen für dynamische Veränderungen. Doch Namen wie Johannes Böhm (Jim Beam), Abraham Bomberger (Michters) oder Georg Dickel (George Dickel) klingen bis heute wohlig in den Ohren der American Whiskey-Fans.

Und tatsächlich scheinen die deutschen Wurzeln sogar noch weiter zurückzureichen:

Ich habe nun sogar mein Pferd an James Oliver für 10 Pfund verkauft, um mir die Brennblase zu kaufen. Könnten Sie mir bitte noch das deutsche Rezept für aqua fortis [strong water; i.e. Destillat, Anm. d. Übers.] aus Roggenschrot schicken, bei dem kein Mais verwendet wird? Aber behalten Sie eine Kopie davon, falls der Kurier es nicht zu mir schafft. Vale!

Brief von Emanuel Downing an John Winthrop, 13. April 1648, Übers. KG (Collections of the Massachusetts Historical Society, Vol. IV, Boston 1863, S.68)

1648… da sage noch einer, deutscher Rye Whiskey habe keine Tradition. Wer nun argumentiert, dies sei kein Whisky, hat Recht und Unrecht zugleich. An dieser Stelle ist (augenscheinlich) noch keine Rede von Fassreifung, die unseren Whisky schließlich ausmacht. Andererseits dachte damals auch in Schottland kaum einer daran, Whisky aus geschmacklichen Gründen in ein Fass zu tun. Er wurde meist ungereift genossen. Die Fassreifung ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts. Seine Anfänge hat der Whisky auf beiden Seiten des Atlantiks in Getreidebränden.

Der Roggenbrand im Heiligen Römischen Reich

Das Heilige Römische Reich, jenes loses Staatengebilde im Herzen Europas, war unter seinen Zeitgenossen in der Endphase alles andere als beliebt. Obwohl es zeitweilig den Zusatz ‚Deutscher Nation‘ erhielt, war es doch kein Nationalstaat im modernen Sinne. In seinen Grenzen befanden sich Deutsche, Polen, Tschechen, Niederländer und viele andere. Zwar machte es nie einen homogenen Kulturraum aus, doch die physische Nähe sorgte manches Mal für kulturellen Austausch und mit Blick auf spätere Entwicklungen für bemerkenswerte Überschneidungen. So auch beim Whisky bzw. seinen Vorläufern.

Was die Menschen dieses heterogenen Kulturraums einte, war die Liebe zum Roggen und dem Roggendestillat. Ein paar Schlaglichter sollen an dieser Stelle genügen:

Karte des Heiliges Römisches Reiches mit der Achse des Roggens
Die Achse des Roggen

In der Freien Reichsstadt Nordhausen wurde vor 1507 Roggen gebrannt, denn zu diesem Zeitpunkt wird eine Steuer darauf erhoben. Es muss dort also schon vorher solche Brände gegeben haben, die sich solcher Beliebtheit erfreuten, dass sie finanziell schon um 1500 relevant und besteuerbar waren. Interessant ist, dass sie als ‚gebranntes Wasser‘ bezeichnet wurden, was einerseits auf die Klarheit der Flüssigkeit zurückzuführen ist, andererseits jedoch auch eine Nähe zum ‚strong water‘ des Emanuel Downing hat.

In der Markgrafschaft Mähren gewährte Karl I. von Liechtenstein einer Brennerei in Proßnitz (Prostějov) das Monopol auf Branntwein in der Region im Jahre 1608, allerdings scheint dort bereits seit mehreren Jahrzehnten gebrannt worden zu sein. Diese Destillerie gibt es noch heute, wenn auch nicht mit ungebrochener Traditionslinie: Palírna U Zeleného Stromu (Green Tree). Dass damals Roggen verwendet wurde, wie Lukas Janotka vorschlägt, kann zwar nicht zweifelsfrei belegt werden, ist aber wahrscheinlich. Roggen wuchs auch unter ungünstigen Bedingungen und galt als weniger wertvoll als z.B. Weizen, der primär für Brot herangezogen wurde. Roggen hingegen konnte für Brände genutzt werden.

Wo ganz sicher Roggen destilliert wurde, war beim östlichen Nachbarn des Reiches, in Polen. 1534 veröffentliche der Mediziner Stefan Falimirz sein Werk über Kräuter und ihre Wirkung (O ziolach y o moczy gich), in dem auch die Destillation eine große Rolle spielte. Seinerzeit galten Destillate, hier Vodki und Gorzalka nämlich oft als Medizin. Letzterer begegnet uns im 16. Jahrhundert öfter, wenig überraschend in Zoll- und Steuerdokumentationen. So wurden 1578 in Krakau 79 Zloti auf Gorzalka erhoben. Dieser konnte aus Trauben bzw. Wein und aus Getreide bzw. Bier gewonnen werden. Welches Getreide dies anfangs war, ist schwer zu ermitteln, im 17. Jahrhundert allerdings hatte sich Roggen etabliert.

Kehren wir zurück in das Heilige Römische Reich. In Antwerpen, damals Teil der Spanischen Niederlande, schrieb Phillipus Hermanni 1552 über die Herstellung von Genever, ohne allerdings ihn so zu nennen. Heute berühmter für die Erwähnung des Wachholders, sollte nicht übersehen werden, dass die Basis des Genevers Roggenmalz war, auch wenn andere Getreidesorten sich später durchsetzten in dieser Rolle. Vermutlich kann auch der erste Roggenbrand in der Neuen Welt auf Wilhelm Kieft zurückgeführt werden, einen Amsterdamer Kaufmann und Generaldirektor von Nieuw Nederland, der 1640 auf Staten Island eine der erste Brennereien Amerikas erbauen ließ.

Rein geschichtswissenschaftlich betrachtet bedarf es noch gewisser Substantiierung der These, dass Roggenbrände in Mitteleuropa dominant waren. Dass sie bekannt waren, dürfte hingegen unstrittig sein. Wo also iro-schottische Auswanderer ihren Gerstenbrand mit sich trugen, brachten Deutsche, Holländer, Tschechen, Polen und andere ihren Roggen mit und brannten Rye Whiskey.

Bevor es Kentucky gab. Rye Whiskey an der Ostküste der Neuen Welt

1710 landete die Mary Hope an der Ostküste Amerikas und eine pfälzische Familie namens Oberholtzer hatte eine neue Heimat gefunden. Ebenfalls mit der Mary Hope reiste ein gewisser Martin Kendig, der seinerseits die Familie Böhm aus dem Herzogtum Pfalz-Zweibrücken im Jahre 1712 zur Emigration bewegte. Mit anglisierten Namen gingen ihre Nachfahren Jim Beam und Abraham Overholt in die Whiskygeschichte ein und begründeten 1795 bzw. 1810 ihre heute legendären Brennereien.

Die Concorde: das Schiff, mit dem 1683 die erste größere Welle deutscher Siedler in die Neue Welt kam

Doch der Grundstein für Rye Whiskey war schon deutlich früher gelegt worden. Welche Rolle dabei die zentraleuropäischen Auswanderer gespielt haben ist schwer zu ermitteln. Die zumeist englisch-sprachige Oberschicht bevorzugte jedenfalls lange den Rum aus den Kolonien des Empire; tatsächlich gilt die Unzufriedenheit über die 1733er Besteuerung der Molasse als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Amerikanischen Revolution. Die im Zuge des Unabhängigkeitskrieges geringere Verfügbarkeit von Rum bzw. Molasse und eine anti-imperiale Stimmung verhalfen dem lokalen Whiskey zu einem Siegeszug.

Wie selbstverständlich wird dabei manchmal angenommen, dass es die iro-schottischen Siedler waren, die sich nun dem Roggen zuwandten, weil die ihnen bekannte Gerste schwerer zu kultivieren gewesen sei. Daher stiegen sie auf Rye um. Das dürfte nicht ganz falsch sein, zeichnet derweil jedoch ein unterkomplexes Bild.

Die Schotten etwa hatten so gut wie keine Erfahrung in der Destillation von Roggen; die Iren schon eher, da Roggen in einigen Mash Bills älterer Pot Still Whiskeys mit bis zu 15% vertreten ist. Zwar kann die Erfahrung gewonnen werden, doch gab es bereits Gruppen von Siedlern, die auf einen größeren Erfahrungsschatz zurückgreifen konnten, der seit Jahrhunderten kultiviert wurde: die aus dem Heiligen Römischen Reich und seiner Nachbarn. Wäre es mit Blick auf Giganten wie Beam oder Overholt nicht sinnvoll, sie als einen von mehreren Traditionskernen des amerikanischen Rye zu sehen? Neben der ethnischen Denomination von Roggendestillat als ‚German‘, die uns bereits im 17. Jahrhundert begegnet, sprechen auch andere Indizien dafür.

Zwei Regionen können Anspruch darauf erheben, die Heimat des amerikanischen Rye Whiskey zu sein: Pennsylvania und Maryland. Die Bevölkerung Pennsylvania war gemäß eines 1790er Zensus‘ zu einem Drittel deutschstämmig, die Marylands zu zwölf Prozent. Beides lag über dem Durchschnitt von knapp neun Prozent. In Pennsylvania wuchs der Mais auch nicht besonders gut, das tat er offenbar besser in den südlichen Regionen Maryland und Virginia. Zudem bestand der Whiskey aus Pennsylvania ganz überwiegend aus Roggen, während der aus Maryland und Virgina (und später, daraus hervorgehend, Kentucky) deutlich höhere Maisanteile aufwies. Es scheint, als seien die mitteleuropäischen Bauern dem Roggen treu geblieben…

Frühe Gewächse dieser Wurzeln

Philip Wigle

Die Vereinigten Staaten waren noch jung, da erlebten sie ihre erste Krise nach dem Krieg: die Whiskey-Rebellion von 1791. Als George Washington zur Tilgung der gewaltigen Staatsschulden eine Steuer auf Whiskey erhob, erhoben sich die Siedler im Westen von Pennsylvania. Hierzulande weniger bekannt, markiert dieser Aufstand für die USA insofern einen wichtigen Schritt, als dass sich die Bundesregierung hier zum ersten Mal gegen ihre eigenen Bürger durchsetzte und auch nicht vor Gewalt zurückschreckte.

Einer der Rädelsführer soll Philip Wigle gewesen sein. Vielleicht war er es, der die Rebellion lostrat, indem er einen Steuereintreiber schlug. Jedenfalls war er einer von nur zwei Rebellen, die nach der Niederschlagung des Aufstandes 1794 wegen Hochverrats zum Tode verurteilt wurden. Seine deutschen Wurzeln wurden von Zeitgenossen ebenso erwähnt wie die alternative Schreibweise seines Namens als Vigol, was wohl bedeutet, dass er ursprünglich Philipp Weigel hieß. Wir wissen wenig über ihn, doch scheint er im Unabhängigkeitskrieg gedient zu haben.

Gleichwohl charakterisierten Zeitgenossen die Verurteilung als sprichwörtliches Bauernopfer. Wigle sei ein einfacher, vielleicht sogar nicht ganz zurechnungsfähiger Mensch gewesen, der nicht ansatzweise über die intellektuellen Kapazitäten verfügte, eine solche Rebellion zu organisieren. Wir reden immerhin über eine Größenordnung, die den Einsatz von 13.000 Soldaten erforderte. Zudem war Wigle, anders als sein Mitangeklagter Mitchell, völlig mittellos. Die eigentlichen Rädelsführer hatten sich längst in die Berge abgesetzt, als Wigle vor Gericht stand. Und doch musste ein Schuldiger gefunden werden. Tatsächlich wurde Wigle bemitleidet, der Prozess kritisch beäugt.

Obwohl der organisierte Widerstand gegen die Steuererhebung endete, entzogen sich die Siedler trotzdem den Eintreibern. Außerdem war die Steuer generell unbeliebt, da sie immerhin ein wichtiges ökonomisches Standbein der Bauern angriff und – vielleicht noch schlimmer – ein aufblühendes Element amerikanischer Identität. So wurde sie bereits 1802 wieder abgeschafft.

Washington begnadigte Wigle schließlich und zog sich auf sein Landgut Mount Vernon zurück, wo er selbst mit dem Brennen von Whiskey aus Roggen und Mais begann.

Flagge der Whiskey Rebellion
Eine Flagge der Whiskey Rebellion

Shenk und Bomberger

1753 destillierten die Schweizer Brüder Johannes und Michael Schenk (anglisiert Shenk) Roggen zu Whiskey auf ihrer Farm. Vermutlich taten sie das schon früher, allerdings ist 1753 das erste Mal, dass Shenk als steuerpflichtig in Heidelberg, Lancaster County, gemeldet wurde. Angeblich soll ihr Whiskey bei Valley Forge den frierenden Truppen Washingtons Wärme und Kraft gespendet habe.  Das allerdings ist nicht nachweisbar, wenngleich gut möglich. Nach dem Krieg übernahm Michaels Schwiegersohn Rudolph Meyer die Brennerei, die ab 1790 mit drei Brennblasen operierte.

Die Schweizer Herkunft der Schenks allein erklärt allerdings keine Vorliebe für Roggen oder andere Getreidebrände. Noch 1811 heißt es im Neuen Schul- und Lesebuch für die Schweizerjugend: „Nun wird bey uns in der Schweiz der Branntwein aus Pflaumen, Kirschen, Brombeeren, Wachholderbeeren und anderen Früchten gewonnen“, in klarer Abgrenzung zu den Getreidebränden der Deutschen, die übrigens unter die „wildesten Völker“ subsumiert werden. Die Schweiz importierte ihren Roggen zumeist aus Schwaben, insofern bestand wohl nur eine gering ausgeprägte Kultur zum Roggenbrennen.

Da die Schenks Mennoniten waren, wie auch die Böhms und Oberholtzers, könnten sie eine ähnliche Migrationsgeschichte haben. Auch die Böhms und Oberholtzers stammten ursprünglich aus der Schweiz, bevor sie in die Pfalz auswanderten. Eventuell haben die Schenks ebenfalls einen Aufenthalt in Deutschland mitgemacht, oder den Roggen in dem deutschsprachigen Umfeld kennengelernt, der sie in Pennsylvania empfing. Die Pennsylvania Dutch waren wohl mehrheitlich aus den deutschen Fürstentümern, aber Schweizer Familien gleichfalls sind dokumentiert und sie verschmolzen.

Zu den Pennsylvania Dutch gehörte Abraham Bomberger, der wohl um 1860 die Brennerei kaufte. Sein Großvater Christian stammte aus Eschelbronn, das bekannt war für zahlreiche Auswanderungswellen. Dessen Sohn Johannes, Vater Abrahams, heiratete Elizabeth – eine Shenk. Diese keineswegs untypische Familiengeschichte bezeugt die engen Verbindungen, die die deutschsprachige Gemeinde in Pennsylvania unterhielt. Die Brennerei blieb also in Familienbesitz. Das tat sie bis zu ihrer Schließung im Jahre 1920, als persönliche Schicksalsschläge und die einsetzende Prohibition den weiteren Betrieb unmöglich machten.

Abraham Oberholtzer

Die Oberholtzers werden das erste Mal 1537 in der Schweiz erwähnt. Wegen religiöser Verfolgung im Zuge der Reformation Zwinglis wanderte die Familie im Laufe des 17. Jahrhunderts nach Sinsheim in der Kurpfalz aus. Von dort kam Marcus Oberholtzer, der 1710 auf der Mary Hope in die Neue Welt segelte und sich in Pennsylvania niederließ. Seinen Sohn Heinrich zog es weiter in den Westen Pennsylvanias, wo ihm 1784 wiederum ein Sohn namens Abraham geboren wurde. Abraham Oberholtzer baute 1810 seine Farm Overton am Fluss Youghiogheny auf, einem Nebenfluss des Monongahela. Nicht nur war eine Brennanlage selbstverständlich Teil der Farm, sie war offenbar der erste Ausrüstungsgegenstand, den Abraham kaufte.

Abraham Overholt aka Oberholtzer

Dies ist die Geburtsstunde des Old Overholt Whiskey. In der offiziellen Geschichte des Unternehmens wurde 1935 explizit vermerkt, dass die Oberholtzers die Kunst der Destillation aus der Pfalz mit sich brachten, was angesichts mangelnder Getreidebranntweintradition in der Schweiz auch plausibel erscheint. Weiter heißt es: „Die Herstellung des Whiskeys ist dieselbe wie früher, angefangen beim Rezept und der Destillationsmethode, die von den frühen Oberholtzer Destillateuren entwickelt und durch Heinrich nach Pennsylvania gebracht wurde.“ (Übers. KG). Das kann sich zwar nicht auf die Reifung beziehen und mag generell wohl eher Marketing denn Geschichte sein, dennoch dürfte Old Overholt unzweifelhaft Pfälzer Wurzeln haben.

Und obwohl Overton nicht direkt am Monongahela lag, ist der Old Overholt ein Paradebeispiel für den sogenannten Monongahela-Stil. Mit einem starken Anteil von Roggen, üblicherweise 80%, und einem geringeren Anteil von Gerste erinnert er wirklich etwas an die Brände aus dem Reichsgebiet wie etwa den Nordhäuser. Mais jedenfalls fand kaum bis gar keine Verwendung. Anders als in der Alten Welt aber – Schottland ganz explizit inklusive! – wurden diese Brände schon früh systematisch in Fässern gereift, die in Lagerhäusern aufbewahrt wurden. (Offenbar früher als ich selbst vermutet habe. Dem wird noch nachzugehen sein).

Für mehr als hundert Jahre blieb die Brennerei in Familienbesitz, bis der Enkel Abrahams, H.C. Frick, seine Anteile 1919 verkaufte. Der Weltkrieg und der drohende Schatten der Prohibition läuteten ohnehin schwere Zeiten ein. Rye Whiskey wurde immer unbeliebter, zeitweilig war Old Overholt der einzige Rye Whiskey am Markt. 1987 dann kaufte Beam die Marke und verlegte sie nach Kentucky. Allerdings verwenden die meisten Abfüllungen eine Mash Bill, die weit vom Original entfernt ist.

Rye: der Whiskey der Abolition, das Getränk der Freiheit

Abraham Oberholtzer war fast achtzig Jahre alt, als sich die südlichen Bundesstaaten von den USA abspalteten und der Sezessionskrieg begann. Eine zentrale Frage in dieser Sezession war das Recht auf Sklaverei gewesen – ein Recht, das die deutschen Einwanderer widerwärtig fanden und mit aller Macht bekämpften. Abraham desgleichen ein glühender Verfechter der Sache der Union und stellte ihren Truppen seinen Whiskey nur zu gern zur Verfügung, besuchte die Schlachtfelder und ermutigte die Soldaten Pennsylvanias.

Schon die allererste Petition gegen Sklaverei in Amerika wurde von den deutschen Quäkern in Germantown (Pennsylvania) 1688 eingereicht – ein Meilenstein der Abolitionsbewegung. Aus religiösen ebenso wie politischen Gründen setzten sich die deutschen Einwanderer für universelle Menschenrechte ein und verabscheuten die Sklaverei. Nicht zufällig wurde sie in diesem Bundesstaat zuerst abgeschafft. Selbstverständlich also kämpften die Pennsylvania Dutch gegen die konföderierten Sklavenhalter.

Überhaupt: mehr als 216.000 Soldaten des Norden waren deutschstämmig und die meisten von ihnen kämpften freiwillig, um das Unrecht der Sklaverei zu beenden. Sie waren in der Regel deutlich älter als ihre englischsprachigen Kameraden, hatten oft in der Heimat schon gedient, rafften sich für ein so nobles Ziel jedoch noch einmal auf. Ebenso sah eine Gruppe von Offizieren, die nach der gescheiterten Revolution von 1848 in die USA fliehen musste, den Krieg als zweite Chance an. Die sogenannten Forty-Eighters wollten dieses Mal nicht versagen. Ihr heißgeliebter Roggenwhiskey begleitete sie auf alle Feldzüge, bis endlich im Jahre 1865 die Union wiederhergestellt und die Sklaverei beendet war.

Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass dieser Aspekt des Rye Whiskeys heute fast völlig vergessen ist. Gerade weil American Whiskey eine Geschichte hat, die verwoben ist mit der der Sklaverei, hätte dieses abolitionistische Moment nie in Vergessenheit geraten dürfen. Nur ist es leider nicht … zeitgeisty genug.

Der Wormser General Ludwig Blenker (Mitte-links, Hand am Koppel) und seine Männer

Ausgewählte Literatur

Agnew, Jeremy: Alcohol and Opium in the Old West. Use, Abuse, and Influence, Jefferson 2014

Bellino, Grace: Whiskey in Early America, in: International Social Science Review 94 (2018), von: https://digitalcommons.northgeorgia.edu/issr/vol94/iss1/3/

Carson, Gerald: The Social History of Bourbon, Lexington 2010 (Erstausgabe 1964)

Domenig, Thomas: Bourbon. Ein Bekenntnis zum Amerikanischen Whiskey, Waldkirchen 2019

Komlenic, Sam: The True Story of Old Overholt Rye, in: Whisky Advocate 2018, von: https://whiskyadvocate.com/true-story-old-overholt-rye/

Marie, Margarete: Bushmills. Einstmals so wild wie die Whiskys von Islay, in: Whisky und Frauen 2023, von: https://whiskyundfrauen.blogspot.com/2023/05/bushmills-der-irische-whiskey-mit-dem.html

Rasmussen, Seth C.: The Quest for Aqua Vitae. The History and Chemistry of Alcohol from Antiquity to the Middle Ages, New York 2014

Simpson, Scott: History and Mythology of Polish Vodka 1270-2007, in: Food & History 8.1 (2010), 121-148

Slaughter, Thomas: The Whiskey Rebellion: Frontier Epilogue to the American Revolution, Oxford 1986

o.A.: A history of the Company and the Overholt Family, Overton 1940 [ed. Karen Rose Overholt Critchfield 1990], von: https://www.karensbranches.com/OldOverholt/oldover1/oldover1.html

4 Comments

  • Nordhäuser Rye Whisky No.1 - DoktorWhisky.de 3. Dezember 2023 at 0:08 Reply

    […] es waren Auswanderer aus dem Heiligen Römischen Reich, die in der Neuen Welt den modernen Rye Whisky begründeten. Die Oberholtzers (Overholt), Böhms (Beam) oder Bombergers knüpften dabei an die heimatliche […]

  • Flurb Xray 3. Dezember 2023 at 14:16 Reply

    Interessant. Beim polnischen Nachbarn könnte man vielleicht noch die polnisch-litauische Tradition des Starka erwähnen. Ein Roggenbrand das in Eichenfässer (zusammen mit Gewürzen wie Apfel- und Birnenbaumblätter) greift wurde. Dieses dem Rye-Whiskey nicht unähnliche Getränk hat eine mindestens so lange Tradition wie der schottische Whisky, geht er doch bis auf das 15. Jahrhundert zurück. Kann mir daher vorstellen, dass so auch polnische Auswanderer bzw. Auswanderer aus Mittel- und Osteuropa hier einen Einfluss auf den Rye hatten.

  • Flurb Xray 10. Dezember 2023 at 21:19 Reply

    Noch eine kleine Ergänzung meinerseits zum Wodka: Es ist ein Mythos, dass Wodka nach nichts schmecken darf. Das ist eine Entwicklung die erst im 20. Jahrhundert eingesetzt hat, vorallem unter dem kommunistischen Regime als alles verstaatlicht und in rießigen Betrieben zentralisiert wurde. Davon kommt die Craft-Destiller-Szene in Polen wieder ab und man schmeckt dem Wodka wieder seinen Rohstoff an. Lustigerweise ist dabei der Kartoffelwodka der mildeste, der Roggenwodka wederum der würzigste.

  • Sklaverei und der amerikanische Whiskey - DoktorWhisky.de 24. März 2024 at 0:13 Reply

    […] werden kaum anders gedacht haben. Tatsächlich war  Abraham Overholt (Oberholtzer) überzeugter Abolitionist und unterstützte direkt die Truppen der Union in ihrem Ringen. Es ist im Übrigen sicher kein […]

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