Remus Gatsby Reserve

George Remus Gatsby Reserve am Gendarmenmarkt

15-jähriger Bourbon in Fassstärke, Batch 2022

Die Prohibition, ein Zauberer und ein deutscher Anwalt auf Abwegen

Die Midwest Grain Products aus Lawranceburg, Indiana, sind eine fest Größe des amerikanischen Whiskeys. Bekannt wurden sie in erster Linie durch die Versorgung anderer Brennereien mit NDP (non-distillery products), bis diese ihre eigenen Whiskeys herstellen und verkaufen konnten. Seit ein paar Jahren konzentriert sich MGP darauf, unter dem historischen Namen Ross & Squibb Distillery eigene Abfüllungen auf den Markt zu bringen. Angesichts der inzwischen offensichtlichen Krise in der Whiskyindustrie rechnet ohnehin kaum mehr mit den Mengen an NDPs, die in den 2000ern/10ern aufkamen.

MPGs Kernkompetenz liegt im Rye Whiskey. Sie sind unzweifelhaft unter die Besten des Genres zu zählen, wie wir mehrfach feststellen konnten. Doch kann sich eine amerikanische Brennerei schwerlich dem (seit der Prohibition) quintessentiellen Whiskey entziehen: Bourbon. Es gelten für Indiana dieselben Regeln wie für Kentucky, sodass der größte Unterschied tatsächlich im Klima liegt. Der ist allerdings weniger groß als es zunächst scheint, da die Lagerhäuser MGPs grundsätzlich beheizt werden (können).

Die Bourbon-Reihe läuft unter dem Namen Remus. Die Geschichte dieses Mannes ist ein schönes Beispiel, wie die Entwicklung des Whiskys auch von Leuten geprägt werden kann, die von seiner Herstellung wenig verstehen. Georg Remus wurde 1878 in Landsberg geboren und wanderte mit seinen Eltern wenig später in die USA aus. Dort wurde er zunächst Apotheker, bevor er Jura studierte. Ab 1904 machte er sich einen Namen damit, Schwerkriminelle unter Ausnutzung juristischer Schlupflöcher und Winkelzüge zu verteidigen. Nach heutigen Maßstäben verdiente er damit um die acht Millionen Dollar im Jahr.

George Remus im Nadelstreifenanzug
George Remus ( Bettmann/CORBIS)

Remus war also ein reicher Mann, als die Prohibition verkündet wurde. Und er sah, wie viel Geld seine Klienten mit dem Alkoholschmuggel machten. Da entschied er sich, selbst ins Geschäft einzusteigen. Und er wurde einer der besten Schmuggler, kannte er sich doch blendend mit dem Recht aus. Für medizinische Zwecke dürfte Alkohol nämlich verkauft werden. Remus sicherte sich den Besitz mehrerer Brennereien und ließ den Whiskey, den er als Medizin produzierte, einfach durch seine eigenen Männer klauen und weiterverkaufen. Eine der Brennereien, die ihm gehörten, war die Squibb Distillery. So konnte sie als eine der wenigen in den USA die Prohibition hindurch operieren.

Das ebenso schillernde wie mitunter höchst unappetitliche Leben des Georg Remus soll hier nicht weiter thematisiert werden. Jedenfalls gilt es als eine Inspiration für den Großen Gatsby, sodass die Kombination der Namen Remus und Gatsby Sinn ergibt.

Das Flaggschiff

Die Remus Gatsby Reserve ist das Flaggschiff der MGP-Bourbons. Abgefüllt in Fassstärke und mit einem Alter von 15 Jahren beeindrucken bereits die Eckdaten. Diese Reifezeit ist für einen Bourbon außergewöhnlich lang. Und sie birgt Gefahren. Schnell kann ein Whiskey so überholzen, da er ja in jungfräulichen Fässern ruhen muss. Die geben nicht zuletzt der Ausbrennung wegen sehr viel Aroma ab und schlecht gereifte Bourbons schmecken nach mehr als zehn Jahren oft nur nach Eiche mitsamt Tanninen. Die Kunst ist also, Fässer frühzeitig zu finden, in denen der Whiskey eben nicht zu viel Holz abbekommt.

Achtsam ausgesucht mussten die Fässer sein, denn der Angels‘ Share ist schon recht hoch. Mit 48,9% ABV fällt das 2022er Batch sogar unter die 100 Proof-Marke, die für US Whiskey unglaublich wichtig ist. Die Fässer lagen demnach vermutlich in einem recht hochtemperierten Bereich des Lagerhauses. Die jährlich zusammengestellten Batches variieren etwas, allein die Zusammenstellung eines Batches an sich jedoch verrät das Bemühen um Konsistenz. Wir reden nicht von Single Barrels. Umso erstaunlicher und vielsagender ist doch, dass MGP keine Furcht hat, ein relativ schwach abgefülltes Batch zu bringen.

Positiv hervorgehoben sei die Flasche und ihre Aufmachung. Ihr Art Deco-Stil ist bis ins Detail umgesetzt und erfreuen das Auge. Das schwere Glas mit dickem Boden und die massive Korkeneinfassung lassen darüber hinaus die Haptik zu einem Vergnügen werden. Die Ästhetik der Goldenen Zwanziger kommen ins Glas. Wenn es einen Malus gibt, dann das die Papierqualität des Etiketts nur ‚ok‘ ist. Da wäre ein schwereres Papier richtig und wichtig gewesen. Das ist aber ein Kritikpunkt, der nur ob des Preises überhaupt aufkommen kann.

Doch was kommt letztlich ins Glas? Am Ende sind alle Whiskys nackt.

George Remus Gatsby Reserve am Ufer
Schon die Optik überzeugt.

Nase

Als erstes kommt das wenig überraschende Karamell in wenig überraschender Schwere und Stärke. Dazu kommt eingelegte Süßkirsche. Danach zeigt der Remus schnell seine Reife. Trockene Kakaobohnen ergänzen die Süße, mit abgenutztem Leder, Tabak und Möbelpolitur liegt jedoch ein unmissverständlich alter Whiskey vor. Die Eiche tut ihr Übriges, so liefert sie liebliche Würze. Nelke, Kardamom und nur ein Hauch roter Pfeffer sind da. Über allem liegt das Aroma angekokelter Sägespäne am Lagerfeuer. Ein Traum! Wenn dieser Whiskey auf der Zunge nicht liefert…

Geschmack

Der Traum geht weiter. Intensiv, kraftvoll und doch ohne jede alkoholische Schärfe tritt er an. Es ist eben dieser Vorzug alten Whiskeys, das er ohne überbordende ABV den Mundraum bestürmen, ja fast überladen kann. Noch mehr Karamell und Kakao, überreife Kirsche und Pflaume, dazu kandierter roter Apfel versprechen Süße, dagegen stemmen sich dann aber die Gewürze. Der rote Pfeffer ist nicht mehr sanft und Nelke und Kardamom lassen sich nicht unterkriegen. Da kommt viel Holz, sogar Tannine sind schmeckbar. Mit einer gewissen Erdigkeit und einem schwelenden Holzfeuer enthüllt der Remus erneut seine Komplexität, dazu wieder Leder und Tabak…

Abgang

Nahezu ewig hallt er nach. Hier eröffnet sich trockenes Holz und noch mehr Holz. Wer Bourbon für zu süß hält, wird hier eines Besseren belehrt.

George Remus Gatsby Reserve am Gendarmenmarkt
Bourbonexzellenz

Fazit: flüssiger Luxus

Der Remus Gatsby Reserve ist einfach alles, was ein Bourbon-Fan sich wünschen kann – was ein Whisky-Fan sich wünschen kann. So vielschichtig, intensiv und komplex auf allen Ebenen sind wenige Whiskys. Phantastisch gereift liefert er die süßen Bourbon-Merkmale genauso wie die beinahe gegenläufigen Eichen-Eindrücke in kunstvoller Manier balanciert ab. Überholzt ist er nicht, auch wenn man der würzigen Natur der Eiche zugeneigt sein sollte.

Günstig ist diese Erfahrung nicht. Mit in Deutschland knapp 350€ ist der Remus fair, aber eben anspruchsvoll eingepreist. Gerade bei amerikanischem Whiskey gibt es viel zu genießen für das Geld, nicht zuletzt bei MGP selbst. Es ist eben die alte Luxus-Krux: für die letzten paar Prozente mehr Genuss muss einiges auf den Tisch gelegt werden. Und die Hersteller müssen liefern. Streng objektiv lässt sich Whisky sowieso kaum bewerten und so viel Geld für einen auszugeben, hat schon ein irrationales Moment an sich. Am Ende bin ich jedoch trotz eines merklichen Loches in der Brieftasche sehr glücklich mit dem Whisky.

Solche exklusiven Abfüllungen haben darüber hinaus noch einen anderen Zweck, sie sollen das Können der Brenner demonstrieren. Wenn es um Bourbon geht, hat MPG bei vielen nicht das Renommee eines Jim Beam oder Michter’s. Mit dem Remus Gatsby Reserve beweisen sie, dass MPG in der Champion’s League des Bourbons spielen kann. Da sich die Verbraucher gerade in Krisenzeiten auf bewährte Marken mit lang etabliertem gutem Ruf konzentrieren, braucht es diesen Beweis. Er ist erbracht.

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