Sklaverei und der amerikanische Whiskey

Titelbild Sklaverei und Whisky

Eine vorsichtige Annäherung

Das Jahr 2016. Ein Blick zurück auf Uncle Nearest und Jack Daniels

Am 25. Juni 2016 publizierte Clay Risen in der New York Times einen Artikel, der die amerikanische Whiskeywelt ins Wanken brachte. Jack Daniel habe von einem Sklaven namens Green, Rufname Nearest, die Kunst der Destillation gelernt. Der meistverkaufte Whisky der Welt geht also auf einen versklavten Afroamerikaner zurück, wenigstens zum Teil. …ausgerechnet Jack Daniel’s, ein Symbol der Südstaaten, der noch vor nicht allzu lang vergangener Zeit oft in Tandem mit der Truppenfahne der Army of Northern Virginia zu sehen war.

Der Artikel ist sachlich und angenehm zurückhaltend in der Darstellung und Bewertung historischer Prozesse. Green war immer schon bekannt und weder Jack Daniel noch das von ihm begründete Unternehmen verheimlichten Greens Rolle jemals. Überhaupt wissen wir hauptsächlich dank Jack von ihr. Hervorgehoben wurde sie jedoch auch nicht oft nach seinem Tod.

Der Autor wägt diese Aspekte ab und bettet sie in eine Geschichte des amerikanischen Whiskeys ein, die untrennbar mit der der Sklaverei verwoben ist. Als zuvorderst landwirtschaftliche Betriebe in Sklavenhalterstaaten setzten viele Brennereien Kentuckys, Tennessees, Virginias und Marylands oft Sklaven zur Produktion ein.

Bereits im Mai 2017 entschied sich Brown-Forman dazu, nicht länger Jack Daniel, sondern Nearest Green als ersten Master Distiller zu führen. Über die Hintergründe dieser Entscheidung kann nur spekuliert werden und darauf soll hier verzichtet werden. Inzwischen hatte auch eine weitere Person die öffentliche Bühne betreten, um das Interesse für Green für sich zu nutzen: Fawn Weaver. Weaver hatte erst durch Risens Artikel von Nearest Green erfahren und machte sich nun auf, dem Mann und seiner Geschichte auf die Spur zu kommen. So ließ sie im August 2017 verlauten, dass sie zehntausende Dokumente angesammelt habe und ein Buch über ihn schreibe.

Das Buch erscheint voraussichtlich im Sommer diesen Jahres.

Viel früher erschien ihre eigene Whiskeymarke, Uncle Nearest. Da sie eine Unternehmerin und PR-Expertin ist, verwundert dies wenig. Und dass das Unternehmen Uncle Nearest nicht die geringste Zurückhaltung übt in der Darstellung ihres Narrativs, gehört zum Standard in der amerikanischen Whiskey-Szene.

Das Jahr 2024. Der andere Blick zurück und das Problem der Quellenlage

Fast acht Jahre ist es nun her, dass die Story von Green und Daniel um die Welt ging. Die Marke Uncle Nearest ist eine Erfolgsgeschichte und Weaver fördert mit Hilfe dieser Gewinne Projekte zur Stärkung Diversity, Equity, Inclusion besonders im Bereich der Spirituosen. Insofern hat der Artikel in der NYT etwas bewegt.

Jack Daniels und die Kriegsflagge der Konföderierten
Heute nur schwer vorstellbar…

Acht Jahre sind in der Geschichtswissenschaft eine lange Zeit, ausreichend für mehrere Monographien und unselbstständige Publikationen. Dennoch konnte das Wissen zu Green bislang nicht gemehrt werden, kein fachwissenschaftlicher Artikel ist erschienen. 2017 wurde Ben Greens (keine Verwandtschaft) Biographie von Jack Daniel aus dem Jahre 1967 neu aufgelegt. Sie ist bis heute, März 2024, die beste Anlaufstelle.

Es gehört zu den Herausforderungen des Fachs mit Quellenarmut umzugehen, doch dies hat seine Grenzen dort, wo die Quellen nicht mehr ausreichen, um die These zu stützen. [Anbei: als Quelle gelten, grob gesprochen, alle Zeugnisse aus der Zeit bzw. nah der Zeit des jeweiligen Untersuchungsgegenstandes; sie sind von der Literatur moderner Historiker zu trennen].

Vielleicht werden wir niemals in der Lage sein, sichere Erkenntnis zu Green zu gewinnen. Selbst wenn: jede noch so sicher scheinende Erkenntnis ist zwangsweise Gegenstand späterer Prüfung und damit immer vorläufig, niemals permanent gültig.

Eben diese Prämisse ist es, die den Blick auf den Einsatz von Sklaven in den amerikanischen Brennereien gelenkt hat. Vielleicht hat der NYT-Artikel einen zusätzlichen Schub verliehen, doch grundsätzlich streben Historiker nach neuen Erkenntnissen. Der Fokus auf marginalisierte Gruppen bietet sich dafür an. Wurden Sklaven früher kaum oder gar nicht erwähnt, wird ihnen heutzutage verstärkt Aufmerksamkeit zuteil. Zwar stoßen wir auch hier auf Probleme hinsichtlich der Aussagekraft unserer Quellen, insbesondere die Arbeitsaufgaben der Sklaven sind schwer rekonstruierbar, dennoch die lohnt ihre Erforschung.

Das erfordert jedoch das Eintauchen in die Landwirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts und das klingt schon deutlich weniger aufregend. Doch genau diesen Verzicht auf Spektakel und Sensation braucht es bei einem so aufgeladenen Thema. Dieser Artikel wendet sich zunächst Kentucky zu.

Kentucky I: Landwirtschaft und Sklaverei. Einige Vorbemerkungen

Kentucky wurde 1792 als 15. Bundesstaat in die USA aufgenommen, davor war das Land administrativ als Distrikt an Virginia angegliedert. Wie in Virginia auch war die Sklaverei dort legal. Und wie in Virginia benötigte die Wirtschaft die Arbeitsleistung von Sklaven.

Lange war in der Geschichtswissenschaft eine vom Althistoriker Moses Finley entworfene Dichotomie das Leitbild in der Bewertung der Rolle der Sklaverei in einer Gesellschaft: slave society (Sklaven[halter-]gesellschaft, durchaus in Anlehnung an Marx und Engels) und society with slaves (Gesellschaft mit Sklaven). Der US-amerikanische Süden und Kentucky galten darin grundsätzlich als slave society, also als eine Gesellschaft, die ohne Sklaven nicht tragfähig wäre, v.a. in der Landwirtschaft. Jüngere Forschung zweifelt zunehmend an der Sinnhaftigkeit einer solch strikten Teilung, so ist ein  prominenter Kritiker der Althistoriker Noel Lenski. Ein binäres Modell könne nicht die feinen Abstufungen in der Vielfalt menschlicher Gesellschaften abbilden. Diese Kritik ist hier insofern relevant, als dass es bei der Untersuchung der Whiskeygeschichte ebenso den Blick auf den Norden der USA braucht, der keine slave society war. Auch in den Nordstaaten und auch nach der Abschaffung der Sklaverei waren ihre Auswirkungen sichtbar.

Doch was ist Sklaverei? Als Grundlage soll Lenskis Definition dienen:

Sklaverei ist die fortwährende, gewaltsame Unterwerfung von Geburt an veräußerlicher und von Natur aus rechtloser Individuen (Sklaven), die von Eigentümern (Herren) kontrolliert werden, welche wiederum in ihrem gesellschaftlichen Rahmen völlige Freiheit haben, sie [die Sklaven] zu gebrauchen und zu besitzen, zu verkaufen und einzutauschen, zu missbrauchen und zu vernichten wie Eigentum.

Lenski 2018, 51

Die aus Virgina und Maryland nach Westen ziehenden Pioniere brachten nicht selten Sklaven mit sich. Diese waren zuvorderst in der Landwirtschaft eingesetzt und waren damit in die Produktionsprozesse von Brennereien eingebunden. Während heutzutage nur wenige Brennereien eigene Felder bewirtschaften, war dies im 19. Jahrhundert die Norm. Lediglich die städtischen Destillen ließen Getreide liefern, die Mehrheit im ländlichen Raum baute es selbst an und verarbeitete es vor Ort weiter, bis es destilliert werden konnte.

Dieser Vorgang war mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden, besonders zu Beginn des Jahrhunderts. Neben Wasserkraft wurde zum Mahlen des Getreides oft ein Tretrad verwendet, es wurde in Säcken vom Speicher zur Destille gebracht und die Herstellung der Maische wurde mit purer Muskelkraft und hölzernen Mash Sticks unterstützt. Vor dem Einsatz der Destillationskolonne nach Aeneas Coffey, die mit Dampfmaschinen beheizt wurde, mussten die meist kupfernen Brennblasen zudem manuell erhitzt werden.  Da Sklaven bevorzugt für harte Arbeiten in anderen Betrieben herangezogen wurden, liegt nah, dass dies auch in den Brennereien passierte. Zudem steht zu vermuten, dass viele Inhaber die Investition in so moderne und teure Gerätschaften wie Dampfmaschinen scheuten, solange billige Arbeitskraft in Form von Sklaven zur Verfügung stand.

Schon die strukturellen Rahmenbedingungen in Kentucky vor dem Bürgerkrieg suggerieren, dass die Sklaverei die ökonomische Grundlage des Bourbon Whiskeys wenigstens zu seiner Geburtsstunde war.

Kentucky II. Sklaven und Sklavenhalter in Brennereien

Wir wissen nicht viel darüber, wer die versklavten Menschen waren, die für die Besitzer von Brennereien arbeiten mussten. Im Zensus wurden lediglich ihr Besitzer, Geschlecht und Alter festgehalten. Auf uns gekommene Quellen geben fast nie Auskunft darüber, welcher Arbeit sie nachgehen mussten oder welche Qualifikationen sie hatten. Doch womöglich lässt die Aufstellung an sich ein paar Schlüsse zu, daher sollen im Folgenden einige Sklavenhalter mit ihren Brennereien vorgestellt werden. Dabei fallen jedoch auch die Limitationen dieser Herangehensweise auf.

Hayden

Portrait Haydens von einer Werbeanzeige
Portrait auf einer 1894er Anzeige

Ein klingender Name ist Basil Hayden, Nachfahre englischer Katholiken, die die Alte Welt wegen religiöser Repressalien verließen. Er führte seine Familie nach Kentucky, da es noch ein Grenzgebiet Virginias war und begann alsbald mit dem Destillieren. Sein Enkel Raymond Hayden führte südlich von Bardstown Basils Brenntradition fort und gab seinem Whisky den Namen Old Grand Dad, Basil zu Ehren. Die Hayden Distillery erwies sich als überaus profitabel und Raymond war einer der reichsten Männer des Countys. Wir wissen, dass Hayden um 1860 zehn Sklaven besaß, doch fehlen weitere Informationen zur Kontextualisierung dieser Angabe. So ist schwer zu sagen, wie viele Menschen für ihn vor 1865 gearbeitet haben. Bei einem Besitz im Wert von über 30.000$ sind zwanzig bis dreißig Arbeiter ein solider Schätzwert, aber eben ein Schätzwert. Zudem war nur einer der Sklaven ein erwachsener Mann. Gewöhnlich waren Frauen und Kinder nicht für die in der Brennerei anfallenden Aufgaben eingeteilt.

Dieser Fall zeigt die größte Schwierigkeit in der Beschäftigung mit dem Thema auf: wir können oft nur spekulieren. War es wirklich nur ein einziger versklavter Mensch, der in der Brennerei arbeitete? Arbeitete er überhaupt dort? Was tat er? Wie wichtig waren seine Dienste? Waren Frauen und Kinder nicht doch in der Brennerei tätig? Wenn ja, in welchen Rollen? Zu welchem Grade half die Haushaltsführung der Bewältigung tagtäglicher Routinen in der Brennerei? Selbst die Schätzung der Anzahl der Beschäftigten ist alles andere als sicher, da sie auf einem Vergleich mit den Snyders basiert (s.u.). Mehr noch, sie berücksichtigt nicht den Faktor Saisonalität, der in mehrfacher Hinsicht problematisch ist. Auf diesen soll später noch eingegangen werden.

Eine definitive Aussage über die Bedeutung der Sklaven bei der Herstellung von Haydens Whiskey kann und sollte bei dieser Bestandsaufnahme niemand wagen. Tendenziell war sie allem Anschein nach randständig, doch ein einziges Dokument könnte diese Tendenz ohne Weiteres umwerfen. Heute gehören die Marken Old Grand Dad und Basil Hayden zu Beam Suntory. Es besteht keine personelle oder institutionelle Kontinuität.

Samuels

Bild unbekannter Provenienz von T.W. Samuels
Destillerieportrait

Taylor William Samuels entstammte einer schottischen Familie, die schon in der Alten Welt Whisky destilliert haben soll. 1844 errichtete er auf seiner Farm im Nelson County die T. W. Samuels & Son Distillery, die bis zum Beginn der Prohibition in Betrieb war. Samuels hielt um 1860 fünf Sklaven, darunter zwei erwachsene Männer. Im Grunde begegnen uns hier dieselben Schwierigkeiten wie im Falle Haydens, wenn um den Einsatz der Sklaven in der Brennerei geht.

Was den Fall Samuels etwas pikanter macht, ist die Tatsache, dass seine Nachfahren bis heute Whisky brennen, den Maker’s Mark. Der Einfluss der Samuels-Dynastie dürfte bisweilen etwas überhöht worden sein, aber ein reger Austausch mit den Familien Böhm (Beam), Van Winkle oder Shapira ist bezeugt. So soll Julian Van Winkle dem Enkel Samuels, ebenfalls Taylor William Samuels mit Namen, dazu geraten haben, dem Mais im Bourbon Weizen statt Roggen beizumischen. Bei derartiger Prominenz wäre es wünschenswert, die Bedeutung der Sklaven in der Geschichte von Maker’s Mark und der Samuels zu ergründen – egal ob die Sklaven integraler Bestandteil der Arbeitsabläufe in der T. W. Samuels & Son Distillery waren oder nicht.

Snyder

Bild der Brennerei der Snyders
Die von den Snyders begründete Boone County Distilling Company, Chronicles of Boone County

Die Bruder William und David Snyder siedelten von Virginia nach Kentucky über und eröffneten 1833 eine Destillerie in Petersburg, Boone County. Sie wurde sehr erfolgreich. 1860 gehörten nicht nur eine Brennerei und eine Mühle, sondern auch eine Küferei zum Betrieb. Snyder brannte jährlich über 1,1 Millionen Gallonen Alkohol und sein Besitz hatte einen Wert von 35.000$.  16 Küfer sowie 30 Helfer und Tagelöhner für die Boone County Distillery sind gelistet; dazu der Eigentümer und Brenner William sowie seine Familie, v.a. sein Sohn William T. Synder. William besaß neun Sklaven, einen 47-jährigen Mann, fünf Frauen, außerdem drei Kinder. Sein Sohn besaß drei Sklaven, eine Frau und zwei Kinder.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Frauen für die Arbeit in der Mühle oder Brennerei eingeteilt waren. Ein oft übersehener Einsatz von Frauen war im Küfergewerbe, nur verfügte Snyder hier bereits über eine ansehnliche Personaldeckung. Vermutlich führten die Sklaven den Haushalt. Vielleicht halfen die Frauen auch bei der Abfüllung der Flaschen, doch dies ist reine Spekulation. Dass die Snyders überhaupt Sklaven hatten, erstaunt. Ein onomastischer Blick auf den Stammbaum mit Snyder (Schneider), Yager (Jäger) und Stigler (Stiegler) deutet auf zentraleuropäische Wurzeln der Snyders hin, also Deutsche oder Schweizer. Und diese waren meist Abolitionisten.

Die heutige Boone County Distillery in Independence ist eine Neugründung aus dem Jahr 2015, die abgesehen vom Namen nichts mit der alten Brennerei zu tun hat.

Überblick

Aufstellung der Sklavenhalter mit Brennereien in Kentucky und der Anzahl ihrer Sklaven um 1860
Aufstellung nach Raitz 2020

Exkurs: Saisonalität und Leiharbeit

Landwirtschaft ist saisonabhängig, folglich auch eine der Farm angeschlossene Brennerei. Das Getreide wurde zumeist im September oder Oktober geerntet und im November oder Dezember gebrannt. Die folgende Distilling Season reichte bis Mai/Juni. Es war gängige Praxis, Saisonarbeiter oder Tagelöhner bei Bedarf anzuwerben. Diese waren gering qualifiziert, denn solche Fachkräfte, die komplexere Tätigkeiten wie das des Brenn- oder Küfermeisters ausübten, keiner Saisonarbeit nachzugehen brauchten. Die meisten Farmen kamen mit ein bis zwei dauerhaft Angestellten zu Recht, wobei zu bedenken ist, dass die Familie des Inhabers ebenfalls zu arbeiten hatte. Gleichsam benötigten auch die Brennereien nur wenig permanentes Personal.

Ein Sklave, wenn das nötige Können besaß, ist grundsätzlich vorstellbar in einer solchen Rolle. Häufig wurden Sklaven an andere Betriebe verliehen, falls diese Bedarf anmeldeten und zahlungsbereit waren. Dies erlaubte es, freie Arbeiter zu entlassen, die schlechte Arbeitsbedingungen und Überstunden nicht länger zu tragen bereit waren. Von diesem Instrument machten Unternehmer bis 1865 reichlich Gebrauch – auch solche, die selbst keine Sklaven hatten.

Sowohl Tagelöhner als auch verliehene Sklaven wurden selten mit den spezifisch ihnen beauftragten Arbeiten aufgeführt. Meist heißt es „laborer“ und selbst bei denen, die als „distiller“ gelistet sind, ist manchmal lediglich der Arbeitsort Destille gemeint. Was sie dort taten, konnte vom Tragen der Säcke über das Einmaischen bis zur Leitung des Brennvorganges reichen. Die Unschärfe ist im Übrigen kein Problem, das nur Sklaven, Tagelöhner oder Saisonarbeiter beträfe. Der Zensus führte auch die Besitzer der Betriebe wahlweise als „distiller“, „farmer“ oder „merchant“. Das führt zu solch kuriosen Statistiken, wie dass im Boone County 1850 nicht ein ein Brennereiarbeiter zu finden gewesen sein soll. Dies illustriert erneut die zahlreichen Fallstricke, mit denen das Thema aufwartet.

Kentucky III. Whiskey ohne Sklaven?

Der Bundesstaat Kentucky war gespalten in der Frage der Abolition. Obwohl ein Sklavenhalterstaat, entschieden Repräsentantenhaus und Senat, neutral im Sezessionskrieg (1861-1865) bleiben zu wollen. Der Süden verletzte alsbald diese Neutralität und Kentucky wurde zum Schlachtfeld, beansprucht von beiden Seiten.  Im Krieg kämpften die Bürger Kentuckys mit deutlicher Mehrheit für die Union, auch wenn viele im ländlichen Raum vielleicht dem Süden sympathisiert haben. Immerhin bedeutete ein Sieg des Nordens auch ein Ende der Sklaverei und damit finanzielle Einbußen. Umso bemerkenswerter sind jene Brennereien, die augenscheinlich ohne Sklaven auskamen.

Beam (Böhm)

Portrait von David M. Beam
Portrait von Joe McKendry

Kein Name steht so sehr für Whiskey aus Kentucky wie Jim Beam. Die Familie Böhm verließ 1712 das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken und ließ sich an der amerikanischen Westküste nieder. Jakob Johannes Böhm zog nach Kentucky und begann 1795 Whiskey zu destillieren.

Kurz vor Ausbruch des Sezessionskrieges hatte David M. Beam, Enkel des Jakob Johannes, seine Brennerei ins Nelson County verlegt, um von einer neuen Eisenbahnlinie zu profitieren. Angeblich soll er wechselweise die Flagge der Union oder die der Konföderation gehisst haben, je nachdem, welche Truppen durch das Land zogen. Sein Bruder John Henry Beam, bekannt als Jack, hatte etwa zur selben Zeit wie David eine eigene Brennerei  errichtet, ebenfalls im Nelson County.

Nach bisherigem Kenntnisstand hatte keiner von ihnen Sklaven oder setzte sie in seiner Brennerei ein. Nun ist es schlechterdings möglich, ein Negativum zu beweisen, doch bislang blieb die Suche nach Sklaven bei den Beams erfolglos. Die Firma Jim Beam zeigt sich seit den 1990ern immer wieder offen für solche Recherchen, unter anderem für Roseanne Hogan und zuletzt für Erin Wiggins Gilliam, die die Verbindung von Sklaverei und Whiskey in Kentucky erforscht. Laut Gilliam war Jim Beam sogar „extremely open“ (2020). Da den deutschstämmigen Einwanderern oft ein abolitionistisches Moment innewohnte, könnte durchaus ein bewusster Verzicht auf Sklaven vorliegen.

McKenna

Altes Bild der McKenna-Brennerei
Photo aus dem Jahre 1937, von Newspapers.com

Henry McKenna wurde 1819 im nordirischen County Derry geboren, verdingte sich dort als Jugendlicher in einer Brennerei. Er wanderte mit knapp 20 Jahren aus und gründete 1855 im Nelson County, Kentucky, seine eigene Brennerei. Im 1860er Zensus wird er als Müller geführt, leitete aber die Destillation. Neben seinen Söhnen half ihm der ebenfalls aus Derry stammende Untermieter Patrick Sweeney. Nur zufällig sind wir durch eine biographische Notiz darüber informiert, dass McKenna 1855 die Unterstützung eines schwarzen Sklaven in der Brennerei hatte. Es sind solche en passant gemachten Bemerkungen, auf denen mangels systematischer Dokumentation ein wichtiger Teil unseres Wissens fußt.

Es ist gesichert, dass McKenna keinen Sklaven besaß, daher ist davon auszugehen, dass es sich um einen verliehenen Sklaven handelte. Tatsächlich bediente sich McKenna dieser Praxis mehrfach. So lieh er sich im Januar 1859 einen Sklaven namens Bill aus, geplant war die Arbeit für sechs Monate. Hier ist etwas Puzzlearbeit gefordert: Dieser Zeitraum könnte zu seiner Distillery Season passen. Ein weiteres Indiz für den Einsatz in der Brennerei ist der Monatssatz von 15$, der zum Verleih der zur Distillery Season von sechs Monaten üblichen Bezahlung von 90$ entspricht. Im Falle Bills war McKenna jedoch nicht zufrieden, beendete die Leihe frühzeitig und zahlte der Besitzerin zweieinhalb Monate aus, also 37,50$. Zum Vergleich: freie Arbeiter bekamen für eine Distillery Season zwischen 150 und 160$. So oder so verrichteten sie Hilfsarbeiten, die allerdings höher gewertet und besser bezahlt wurden als die meisten anderen Farmarbeiten.

McKenna setzte also Sklaven saisonal ein. Er konnte es sich zudem leisten, bei unzureichender Zufriedenheit auf sie zu verzichten, wenigstens partiell. Trotzdem ist auch er ein Beispiel dafür, mit welcher Selbstverständlichkeit das Institut der Sklaverei genutzt wurde. Einmal hat er sogar die Leihgabe eines Sklaven für exakt dreieindrittel Monate als Zahlungsmittel für die Lieferung seines Mehls akzeptiert.

Heute ist wie so oft nur der Name geblieben. Die Familie McKenna war 1941 gezwungen, an Seagram zu verkaufen; die Brennerei selbst schloss 1974. Inzwischen hält Heaven Hill die Markenrechte.

Desiderate

Die vorgestellten Schlaglichter sind eben das: Schlaglichter im Dunkel der Quellenarmut. Das bloße Vorhandensein von Sklaven in einer Brennerei sagt nur wenig aus und für eine sinnvolle Kontextualisierung fehlen uns fast immer die nötigen Quellen. Noch. Denn diese Quellen existieren vermutlich, sei es in Archiven oder in privaten Sammlungen. Briefe, Bilder, Notizen, Einkaufszettel, Zeitungsausschnitte warten auf ihre Sichtung. Dies ist eine frustrierend zeitaufwendige und meistens frustrierend erfolgsarme Aufgabe. Bei einem so wichtigen Thema wie der Sklaverei jedoch sollte dieser Aufwand nicht zu scheuen sein von Forschern – ganz besonders nicht von denen, die sich die Erforschung dieses Themas auf die Fahnen geschrieben haben und ihre Finanzierung dafür erhalten.

Es ist offen gesagt erschreckend, wie wenig akademische Publikationen dazu vorliegen. Der substantiellste Beitrag stammt von Karl Raitz, Professor an der University of Kentucky, dessen Making Bourbon (Lexington 2020) für diesen Beitrag ausgiebig genutzt wurde. Und jenseits von Kentucky sieht es noch düsterer aus. Zu den Sklaven in den Brennereien Tennessees, Marylands und Virginias wurde sehr wenig geschrieben, obwohl diese Regionen vor der Prohibition die Heimat hunderter Destillieren waren.

Vorsichtige Schlüsse I. Sklavenhalter

Trotz all der methodischen Probleme in der Erfassung eines schwierigen Quellenbefundes und aller Desiderate in der Forschungsliteratur können vorsichtige Schlüsse gezogen werden. Sie sollten sogar gezogen werden. Dem allzu dünnen wissenschaftlichen Befund steht nämlich ein überproportional großes Interesse in den Medien und Whiskyblogs gegenüber. Dieses Ungleichgewicht führt nicht selten zur Hyperbel, von sensationsheischenden Vereinfachungen bis hin Phantasiegebilden, die nicht ansatzweise haltbar sind.

Das braucht es nicht, da schon die vorläufigen Erkenntnisse spannend genug sind:

Whiskey in Kentucky ist nicht von der Sklaverei zu trennen: Der Besitz und Gebrauch von Sklaven war derart normalisierte Praxis in Kentucky, dass nur wenige Brenner ohne deren Arbeitsleistung auskamen – wenn es überhaupt welche gab. Dabei ist unerheblich, ob die Sklaven direkt in der Brennerei tätig waren, denn diese war Teil eines übergeordneten Betriebes, dessen Produktionsprozesse wenigstens zum Teil von Sklaven getragen wurden. Der Fall McKenna demonstriert, dass sich dieser Praxis auch jene nicht entziehen konnten (oder wollten), die keine Sklaven hielten. Nicht überraschend, aber der Blick auf die Whiskeyherstellung beweist erneut, dass der amerikanische Süden eine slave society war.

Sklaven arbeiteten auch in der Brennerei: Zwar ist nur selten nachweisbar, dass Sklaven in der Brennerei tätig waren, und über ihre Aufgaben wissen wir wenig. Und doch: der Weg vom Hilfsarbeiter zum Destillateur und letztlich Master Distiller war für freie Menschen durchaus üblich und es gab nur wenige strukturelle Hindernisse für versklavte Menschen, ebenso diesen Weg zu beschreiten. Das größte Hindernis war der Rassismus, der er wohl selten zuließ, dass ein Afroamerikaner sich Master Distiller nennen dürfte. Dass es aber grundsätzlich möglich war, als Sklave leitende Funktionen zu übernehmen, bezeugt Nearest Green. Eingedenk der Tatsache, dass Sklavenarbeit die Besitzer vergleichsweise wenig kostete, gab es sogar einen finanziellen Anreiz, Sklaven mit entsprechenden Qualifikationen einzusetzen.

Hier gilt es jedoch, besonders vorsichtig zu sein. Das grundsätzlich Mögliche ist nicht zwingend das tatsächlich Geschehene. Und die Mehrheit der Brennereibesitzer stand ihrerseits in einer Tradition des Destillierens, leitete nicht nur geschäftlich, sondern zudem operativ.

Gebrochene Kontinuitäten: Whiskeyflaschen schmückten immer schon historisierende Namen und das ist bis heute so. Daher findet sich in den Regalen ein Henry McKenna ebenso wie Basil Hayden oder Elijah Craig. Eine Kontinuität, sei sie personell oder institutionell, gibt es nur in den seltensten Fällen. Kaum eine Whiskeybrennerei heute lässt sich direkt auf Sklavenhalter zurückführen. Die erheblichen Verwerfungen, die der Sezessionskrieg, die Prohibition und der Zweite Weltkrieg für die amerikanische Whiskeyindustrie mit sich brachten, ordneten die Verhältnisse komplett neu.

Doch wenn die Namen weiterbestehen, besteht auch jener Teil der Tradition weiter, der mit der Sklaverei verbunden ist. Daher ist zu begrüßen, wie offen die meisten Firmen heutzutage damit umgehen. 

Vorsichtige Schlüsse II. Abolitionisten

Eine der gefährlichsten Übertreibungen ist die Vorstellung, dass die Entwicklung des amerikanischen Whiskeys ganz auf der Sklaverei fußte. Der Rye-Gigant MPG etwa geht auf eine Gründung von 1847 zurück, mehr als dreißig Jahre nachdem Indiana die Sklaverei geschafft hatte. Die zahlreichen Beams hatten keine Sklaven. Und die nach 1865 aufgebauten Distillerien und Marken sind Legion. Mancher mag indirekt von der Sklaverei profitiert haben, abhängig war indes keiner von ihr.

Mehr noch, es gab Brenner, die sich der Sklaverei aktiv entgegenstemmten. Pennsylvania hatte noch während des Unabhängigkeitskrieges 1780 die Abschaffung der Sklaverei beschlossen und war eine Hochburg der Abolitionsbewegung, nicht zuletzt dank der deutschsprachigen Community. Hunderttausende Dutch setzten ihr Leben im Kampf gegen die Sklavenhalter des Südens ein. Die zahlreichen deutschstämmigen Rye Whiskey-Hersteller werden kaum anders gedacht haben. Tatsächlich war Abraham Overholt (Oberholtzer) überzeugter Abolitionist und unterstützte direkt die Truppen der Union in ihrem Ringen. Es ist im Übrigen sicher kein Zufall, dass die Old Overholt Distillery zu den modernsten ihrer Zeit gehörte, denn sie verließ sich auf Innovation, nicht auf Sklaven.

Die Sklaverei in den USA endete nicht durch Zufall, sondern durch die Opfer und die Willenskraft derer, die sie bekämpften. Whiskeybrenner standen auf beiden Seiten dieses Konfliktes und es wäre ungerecht, eine davon aus dem kulturellen Gedächtnis zu tilgen – egal welche.

Ausgewählte Literatur

Carson, Gerald: The Social History of Bourbon, Lexington 2010 (Erstausgabe 1964).

Domenig, Thomas: Bourbon. Ein Bekenntnis zum Amerikanischen Whiskey, Waldkirchen 2019.

Green, Ben: Jack Daniel’s Legacy, Suwanee 1967.

Hogan, Roseanne: African-American Case Studies, in: Ancestry 14 (1996), 22-24.

Lenski, Noel: Framing the Question. What is a Slave Society, in: Lenski, Noel/ Cameron, Catherine M. (Hgg.): What is a Slave Society? The Practice of Slavery in Global Perspective, Cambridge 2018.

Raitz, Karl: Making Bourbon. A Geographical History of Distilling in Nineteenth-Century Kentucky, Lexington 2020.

o.A.: A history of the Company and the Overholt Family, Overton 1940 [ed. Karen Rose Overholt Critchfield 1990], von: https://www.karensbranches.com/OldOverholt/oldover1/oldover1.html.

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