George Dickel Hand Selected Barrel 9 Years

George Dickel Hand Selected Barrel vor dem Alten Museum auf der Museumsinsel

Tennessee Whisky par Excellence, ohne „e“

Von Grünberg nach Tullahoma

George Dickel gehört zu unseren liebsten Brennereien überhaupt. Dass wir ihren Whisky hier bislang eher selten besprochen haben, liegt an der geringen Verfügbarkeit in Deutschland. Diese wiederum ist doppelt ironisch. Zum einen beliefert George Dickel in den USA unzählige Marken mit Whisky, die dann unter anderem Namen vertrieben werden, sogenannte NDP (Non Distillery Products), ist dort also in Masse vertreten. Seit Kurzem schwappen sogar unabhängige Abfüllungen wie die der SMWS oder des Wu Dram Clans über den Atlantik. Zum anderen stammte Georg Dickel aus Deutschland.

Geboren wurde er 1818 in Grünberg, Großherzogtum Hessen. Er emigrierte 1844 in die Neue Welt und ließ sich 1853 in Nashville, Tennessee, nieder. Während des Sezessionskrieges handelte er mit Spirituosen und schmuggelte sie sehr wahrscheinlich auch durch die Frontlinien gen Süden, jedenfalls taten dies seine Geschäftspartner Meier Salzkotter und Victor Schwab. Anders als sie wurde Georg Dickel jedoch nie dabei ertappt. Nach dem Krieg entwickelte sich seine Geo. A. Dickel & Co. Company zu einem der erfolgreichsten Unternehmen für Alkoholika in Tennessee und ließ ab 1870 in der Cascade Hollow-Brennerei Whisky abfüllen. Daher steht dieses Jahr auch groß auf den aktuellen Flaschen. Sein Geschäftspartner und nunmehr auch Schwager Victor Schwab kaufte alsbald die Mehrheit an der Brennerei, sodass die Namen Dickel und Cascade Hollow untrennbar verbunden wurden.

Georg Dickel, der wie Schwab bisweilen eine anglizierte Version seines Namens führte (George Dickel bzw. Victor Shwab/Shawb), war nicht nur kommerziell erfolgreich. Er diente als freiwilliger Feuerwehrmann, Freimaurer und Tempelritter; engagierte sich sozial im neuen Heimatcounty. Das erklärt wohl, warum sein Name bald prominent auf den Flasche prangte. Er selbst hatte mit der Produktion des Whiskys jedoch nichts zu tun.

Die Prohibition überlebten weder seine Firma noch die Brennerei. In den 1950ern wieder aufgebaut, wurde die Cascade Hollow Brennerei von Schenley Industries als Konkurrenz zu Jack Daniel’s positioniert, nachdem ihr Versuch gescheitert war, Jack Daniel’s direkt zu kaufen. Der Neustart sollte nicht ganz glücken, doch inzwischen scheint George Dickel unter Diageos Ägide prächtig zu gedeihen.

Ganz ohne Kontroverse verlief diese Erfolgsgeschichte nicht. Kritiker monieren besonders die inflationäre Belieferung des Whiskys an NDPs mit massiven Qualitätsschwankungen, aber auch das allzu weiche Profil der hauseigenen Whiskys. Nur ist letzteres Kernbestandteil der Identität George Dickels und ersteres… nun, der Geschäftsmann Georg Dickel wäre der allererste gewesen, der NDPs versorgt hätte.

Eine faszinierende Geschichte und eine aktuelle Kontroverse bieten den perfekten Hintergrund für die Besprechung eines der Flaggschiffprodukte der George Dickel-Linie: der Hand Selected Barrel.

George Dickel Hand Selected Barrel vor dem Berliner Stadtschloss
1870: das Gründungsdatum der Geo. A. Dickel & Co Company, kurz vor der Deutschen Einheit unter dem Hause Hollenzollern.

Sanft wie das Licht des Mondes

„Mellow as Moonlight“ lautet der nun über hundert Jahre alte Werbeslogan. Master Distiller McLin Davis soll seine Maischebottiche bei Nacht hat abkühlen lassen, was dann zu einem besonders weichen Whisky führte. Heute wird das Destillat auf fünf Grad Celsius abgekühlt bevor es eine Ahornholzkohlefiltration erhält, das bekannte Lincoln County-Verfahren. Anders als bei Jack Daniel’s allerdings durchläuft das Destillat die Kohle nicht von oben nach unten via Schwerkraft, sondern das Destillat füllt den Kohlebehälter auf.

Anschließend reift der Whisky in jungfräulichen, ausgebrannten Fässern, an deren Innenwand sich ebenfalls eine Kohleschicht gebildet hat, die ihrerseits erneut den Whisky filtert. Selbst hier kennt Dickel keine Kompromisse und die Innenwände der Fässer sind maximal ausgebrannt für den maximalen Filtereffekt, d.h. Char-Level 4. Lediglich die Deckel der Fässer beließ man ‚nur‘ auf Level 2.

Zuletzt trägt Maische ihren Teil bei, da sie zu 84% aus Mais besteht. Verglichen mit anderen Getreidesorten ist er für gewöhnlich süßer und milder im Geschmack. Dem Mais sind außerdem zu gleichen Teilen Roggen und Gerstenmalz beigemischt.

Kurz: aus Cascade Hollow kommt überaus sanfter Whisky. Dies hat freilich seine Nachteile, da Kühlfiltration eben nicht nur unerwünschte Fuselöle auffängt, sondern auch einen gewissen Anteil des Eigengeschmacks vom Getreide. Dadurch wiederum wird der Einfluss des Fasses gestärkt, was den Whisky süßer macht. [Für die genaue Erklärung chemischen Abläufe sollte allerdings eine andere Art Doktor herangezogen werden]. Desgleichen ist der hohe Maisanteil längst aus der Mode gekommen. Die meisten amerikanischen Whiskeys geben den sekundären Getreidesorten mehr Raum, um sich aromatisch besser entfalten können. All dies hat George Dickel zu einem polarisierenden Whisky werden lassen.

Der hier vorliegende Hand Selected Barrel mit 51,1% ABV und neun Jahren Alter ist das Flaggschiff der Reihe. Neben dem für amerikanischen Whisky hohem Alter und der Alkoholstärke ist es zuvorderst die Fassauswahl des damaligen Master Distillers John Lunn, die diese Abfüllung besonders macht. Bei der Größe der Operation und der schieren Menge an Fässern hat diese Auswahl etwas zu heißen.

Nase

Erwartet süße Noten machen den Anfang mit Vanille, Werthers Echten und Butterpopcorn, dazu Waldhonig und frischer Rührkuchen mit Zitronengras. Daneben drückt eine bemerkenswert dunkle Frucht durch, überreife Pflaume und Kirsche. Eichenwürze zeigt sich dezent mit Muskatnuss und mildem Pfeffer, dazu etwas Tabak.

Geschmack

Hier schlägt der Whisky mit einer Links-Rechts-Kombination zu. Das erste Mundgefühl ist täuschend mild und sanft, doch dann schlägt er ins Kräftige um. Fast scharf wirkt er dann, mit einem Schuss von Red Hots. Zusammen mit der unvermindert intensiven Süße entfaltet sich ein überraschendes Wechselspiel. Leder und Tabak verleihen eine gewisse Tiefendimension, darüber hinaus lassen sich deutlich mineralische Anklänge ausmachen.

Abgang

Der Nachhall hingegen ist wieder wie erwartet, nämlich lang und eichenlastig, bis hin zu Tanninen.

George Dickel Hand Selected Barrel vor dem Alten Museum auf der Museumsinsel
Die Nachfolge von John Lunn als Master Distiller trat 2015 Nicole Austin an

Fazit: Dark Side of the Moon

Dieser Whisky ist fast schon hinterhältig. Die Nase verspricht ein allzu typisch mild-süßes Geschmackserlebnis mit allenfalls gemäßigter Würze. Auch der Antritt ist butterweich, fast als warte er auf ein Signal zum überfallartigen Angriff. Und dann flutet massive Eichenwürze Zunge und Gaumen, ohne dass ein bisschen der Süße verloren ginge. Vielleicht ist der Haupteffekt der Filtrierung hier eben diesen Hinterhalt vorzubereiten. Die Vertreter der Core Range haben diese Würze allenfalls in Ansätzen, selbst die meist noch älteren Whiskys aus der Serie Bottled-in-Bond reichen nur teilweise an dieses Niveau heran.

Die süßlichen Aromen lassen jedoch keinen Zweifel an der Provenienz aufkommen. Die Vanille und Werthers plus Pflaume und Kirsche assoziiere ich seit Jahrzehnten mit George Dickel. Dies ist eine subjektive Wahrnehmung und andere Menschen assoziieren ganz sicher andere Wahrnehmungen mit dieser Brennerei. Dass ihr Profil allerdings, wenigstens in den Eigenabfüllungen, leicht erkennbar ist, daran gibt es kaum einen Zweifel. Und für Fans dieses Profils ist der Hand Selected Barrel 9 Years ein Traum.

Für Fans amerikanischen Whiskys lohnt sich ebenso ein Probieren. Schon allein eine mittlerweile etwas altertümliche Herstellungsweise bzw. altmodische Prioritätensetzung in ihrer Vollendung erleben zu können, ist ein Erlebnis. …allerdings ein in Deutschland sehr teures Erlebnis. Dies ist der einzige Wermutstropfen an einem rundum gelungenen Whisky. Wer weiß? Da inzwischen immer mehr unabhängig abgefüllte George Dickel Whiskys in unsere Gefilde finden, könnte sich vielleicht auch wieder ein Interesse dem anderen Tennessee Whisky entwickeln, dem ohne „e“.

2 Comments

  • dr.thomas deal 19. April 2024 at 22:48 Reply

    hallo liebe w-Liebhaber,
    was haltet ihr von „Blantons“ Kentucky straight Buorbon ? gibt es schon einen artikel über die Buffalo Trace Destillery in Frankfort Kentucky ? ich bin „Neuling“ und über einen Keanu Reavs-Film (john wick) zufällig auf die interessante „Büffel-Spur“ (eigentlich: Büffel-Furt) gekommen….
    zählt er wirklich zu den qualitativ höherwertigeren Bourbons ??? oder ist alles nur eine geschickte Marketing Strategie..(siehe Korken-Sammler-Pferde-Figuren- Gold-Silver- Messing-Editionen) …?

    Das gleiche frage ich mich übrigens auch seit geraumer zeit zum Thema „Octomore“…..! diesbezüglich konnte ich auch von verschiedenen angefragten Quellen noch keine schlüssige oder eindeutige Antwort auf die frage nach den schwarzen (xx.1; xx.2) und milchglas-weißen flaschen der octomore-serien bekommen…..? die xx.3 -er Flaschen der jeweiligen jahrgangs-serien sind ja fast alle milchglas-weiß, was meiner meinung nach dem whisky noch eine ganz besondere optik verleiht….!
    für heute genug . ich könnte noch den ganzen w-abend damit füllen…., bin aber leider nicht der schreiberling…., wie man sehen kann- sorry!
    würde lieber zu einem euerer beschriebenen tasting-runden „erzählen“
    liebe grüße aus thüringen von dr. thomas (alias- BlantonsBB-Master of the Octomores)

    • Dr. Kai Grundmann 27. April 2024 at 22:51 Reply

      Hallo,

      sorry für die späte Rückmeldung! Ja, der Blanton’s zählt zu den besten Bourbons, besonders die jenseits der 50% ABV. Es ist dann eine Glaubensfrage, ob man den Blanton’s Gold oder den Straight from the Barrel bevorzugt. Die Preise in Dtl. schwanken etwas, sind aber… ok, wenn man Bourbon mag.

      LG
      Kai

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