US Ryenaissance und EU Ryevolution

Wird sich Rye Whiskey in Europa etablieren?

Eine kleine Welt. Von Europa nach Amerika und zurück

In den USA hat Rye Whiskey sich längst von seinem Schattendasein gelöst und ist an die Seite des Bourbons als fast gleichwertiger Verwandter getreten. Gleichwohl in nackten Zahlen noch lange kein Massenprodukt, hat nahezu jede größere Brennerei mittlerweile mindestens einen Rye Whiskey in ihrer Core Range, gerade in höherpreisigen Segmenten.

Aufgrund der strengen gesetzlichen Vorgaben zum Bourbon ist dessen geschmackliche Vielfalt verglichen mit z.B. den schottischen Whiskies eher gering, sodass Rye in den USA eine willkommene einheimische Alternative darstellt.

Roggen zu destillieren, ist historisch gesehen sogar die Ursprungsform amerikanischen Whiskeys: die europäischen Einwanderer nutzen zunächst das ihnen altbekannte Getreide, lang bevor sie sich auf den Mais einließen. Mit der Prohibition ging die Popularität von Rye Whiskey stark zurück; er war von da an jedoch kaum mehr als eine Fußnote. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren feierte er aber sein Comeback. Vor allem die trockene Würze, die der Roggen mit sich bringt, begeistert immer mehr Whiskyfreunde.

Dies blieb auch in Europa nicht unbemerkt.

Rye Whiskey in Europa und Deutschland. Ein überraschender Befund.

Sehr zu meiner Überraschung stellte ich vor etwa einem Jahr fest, dass es in Deutschland eine Brennerei gibt, die sich auf die Produktion von Rye Whiskey spezialisiert hat, Stork. Und der Whiskey ist auch noch richtig gut. Als ich genauer hinsah, wurde meine Überraschung noch größer. Denn es gibt viele Rye Whiskies in Europa:

Österreich (Waldviertler), Frankreich (Vulson), England (Adnams), Dänemark (Stauning), Niederlande (Millstone), Schweiz (Langatun Old Eagle), Belgien (Biercée), Finnland (Kyrö, HDC). Dem Namen nach führt sogar ein Ire Rye im Programm, Kilbeggan Small Batch Rye, allerdings liegt der Roggenanteil dort nur bei 30%. Selbst die erzkonservative Whiskyhochburg Schottland wankt, wie schon letztes Jahr festgestellt wurde. Rye in Europa ist (zurück-)gekommen, um zu bleiben.

Auch in Deutschland steht Stork keineswegs allein: Glina, Freimeister, Höhler, Westfalian, Hillock, Fading Hill, Rittmeister Gryphon, Simon’s Feinbrennerei, Lübbehusen, und bestimmt viele mehr.

Sind sie die Speerspitze einer Revolution? Oder vorübergehende Modeerscheinung, die am mehrheitlich konservative Whiskypublikum in Deutschland vorbeigeht?

Ein Beispiel für guten deutschen Rye Whiskey: Freimeister

Was für die Revolution in Deutschland spricht

So abgedroschen es klingt: die Qualität. Deutscher Rye Whiskey ist eine relativ junge Erscheinung, v.a. verglichen mit deutschen Schottlandkopien Single Malts. Und doch sind sie bereits jetzt richtig gut. Stork hat internationale Anerkennung erfahren, der Freimeister Rye ist ein Preis-Leistungs-Tipp, der Glina Rye vereint das technische Können der Brandenburger mit ihrer Innovationsfreude. Nur sehr wenige Rye Whiskies in Europa können da mithalten. Sogar die USA mit ihrer gewaltigen Tradition müssten ihre besseren Vertreter auffahren, um die deutschen Ryes zu schlagen. Wenn die heimischen Brennereien sich auf den Rye konzentrieren, erwarte ich nicht nur internationale Konkurrenzfähigkeit. Ich erwarte Weltspitze.

Diese Spitzenstellung ist auch deswegen erwartbar, weil deutsche bzw. europäische Whiskybrenner nicht an jahrhundertealte Traditionen und strenge Gesetze bezüglich der Fassreifungen gebunden sind. Reifungen mit Fässern von Sherry (Glina Rye), Cognac (Vulson), Islay Whisky (Stork) und hoffentlich bald Bier bieten aufregende Geschmackskombinationen.

Es kommt ohnehin ein gewisser Neuheitsfaktor dazu. Obwohl der Trend zum Rye nun schon mindestens 10 Jahre andauert – an sich schon ein Indikator dafür, dass Rye so schnell nicht aus den Regalen verschwinden wird – wirkt diese Whiskysorte in Deutschland relativ frisch.

Gleichsam sollte die psychologische Wirkung nicht unterschätzt werden: deutscher Single Malt wird sich immer mit dem der Schotten messen müssen. Das ist längst kein so ungleicher Wettkampf mehr wie noch vor ein paar Jahren, aber er fällt doch eher selten zugunsten der Heimmannschaft aus – jedenfalls wenn es nach den heimischen Fans geht. Bei denen gilt Scotch Single Malt als das Maß der Dinge. Rye dagegen muss mit keinem derartigen Nimbus konkurrieren und trifft eventuell auf mehr Aufgeschlossenheit.

Roggen ist außerdem ein in Deutschland unheimlich beliebtes Getreide. Ich gehe davon aus, dass fast alle unsere Leser ein Schwarzbrot oder Mischbrot dem Weißbrot vorziehen. Das Geschmacksprofil von Roggen ist eines, das wir hierzulande sehr schätzen. Das müsste sich auf Whisky übertragen lassen.

Ein weiteres Argument ist eventuell die so wichtige Barszene. Die amerikanische Ryenaissance hat ihren Ursprung auch darin, dass der würzige Grundcharakter des Ryes sich in Cocktails besonders gut macht. Das trifft auf deutschen Rye umso mehr zu, zumal er nicht an frische Eiche gebunden ist. Vielleicht ist er noch etwas zu teuer für die Szene, wahrscheinlich sogar, perspektivisch wären aber gerade bei besseren Cocktail- und Hotelbars interessante Möglichkeiten denkbar.

Auch unsere französischen Freunde können Rye.

Was gegen die Revolution spricht

Bislang ist schwer abschätzbar, viele wie der Brennereien tatsächlich dauerhaft Rye im Angebot haben werden. Bedenkt man, dass sie mehrheitlich ein breites Portfolio haben und sich nicht auf Whisky beschränken, mögen Rye-Abfüllungen oftmals nur als Versuchsballon innerhalb eines Teilsegmentes ihres Angebots gegolten haben. Hier stellt sich die Frage, wie erfolgreich der Rye war und ob die deutschen Whiskybrenner den Entschluss fassen, ihn auch in Zukunft regelmäßig anzubieten.

Deutscher Rye Whiskey ist damit eine Nische innerhalb einer Nische, eine Unterart deutschen Whiskys, bzw. ein Verwandter des bekannteren US Whiskeys. Beides hat in Deutschland mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen, die zumindest die nächsten Jahre noch anhalten dürften. Was hilft der weltbeste Rye, wenn die Kunden doch wieder die x-te Ardbeg-Sonderedition kaufen? (… während der Ardbeg 10, der bei ihnen sowieso zu Hause steht, vermutlich der bessere Whisky ist.)

Außerdem ist nicht alles Gold, was glänzt. Nicht jeder Rye Whiskey ist automatisch gut und einige können vermutlich nicht die von mir gepriesenen Standards halten. In Sachen Rye sind die Amerikaner uns noch etwas voraus und es braucht Mut, Experimentierfreude und Durchhaltevermögen, damit diese Lücke geschlossen wird.

Schlimmer noch, der Trend zum Rye könnte sich sogar negativ auf den deutschen bzw. europäischen Rye auswirken. Denn wird dieser Whiskey hierzulande noch populärer, können die Branchenriesen einfach mehr des hervorragenden Ryes aus Amerika zu lächerlich geringen Preisen in den Markt drücken. Selbst für den besten deutschen Vertreter wird es schwierig, wenn im Regal hochwertige, doch deutlich günstigere US-Konkurrenz steht.

Innovation: Ein Rye Whiskey gereift in einem Ex-Islay-Whiskyfass

Euro-Rye. Die ungewisse Zukunft

Gerade weil ich mir sehr wünsche, dass Europa und Deutschland die Heimat großartigen Rye Whiskeys werden, sehe ich zumindest hierzulande ein paar Probleme. Die haben allerdings weniger mit den Brennern zu tun, als mit den Käufern. Hoffentlich irre ich mich, doch meine Befürchtung ist, dass konservatives Denken es den deutschen Whiskyherstellern nicht leicht machen wird.

Allerdings gilt das für jeden deutschen Whisky und am Ende hat sich immer noch Qualität durchgesetzt. Beim Single Malt hat es etwas länger gedauert, aber er ist auf dem Weg. Und der Rye startet von einer viel besseren Position aus. Vielleicht reicht schon eine kleine, aber entschlossene Klientel um dem Rye Whiskey zusätzliche Starthilfe zu geben. Wir bei DoktorWhisky.de sind auf jeden Fall dabei.

6 Comments

  • Chris 24. September 2019 at 23:04 Reply

    Durchaus wichtige und richtige Aspekte, die ihr da zum Thema Rye aus Deutshland vortragt. Ich sehe ebenfalls eher das Problem auf der Seite des trägen Konsumenten. Dass hiesiger Rye nämlich Potenzial hat, habe ich bereits selber feststellen dürfen: https://schnaps.blog/deutscher-rye-whiskey/

  • Stork Full Proof Rye 10. Mai 2020 at 14:15 Reply

    […] Rye Whiskey erfreut sich in Deutschland und Europa zunehmender Beliebtheit. Das wurde auch Zeit, bedenkt man, dass der nordamerikanischen Rye Whiskey maßgeblich von deutschen Auswanderern wie Johannes Jakob Böhm aka Jim Beam mitbestimmt wurde, die Roggen aus ihrer Heimat kannten. Stork gehörte zu den ersten, die konsequent Roggenwhisky produzieren und dürfte einer der wenigen, wenn nicht die einzige deutsche Brennerei sein, die sich auf ihn konzentriert. Das begrüßen wir sehr, zumal wir den Stork Single Malt auch schon probiert haben. Der Stork Rye spielt einfach in einer anderen Liga. […]

  • Willentlich im Schatten Schottlands. 31. Juli 2020 at 18:11 Reply

    […] der Böhm-Familie, Jim Beam. Roggenwhisky erlebt in den USA seit Jahren schon eine Renaissance, die auch in Deutschland nicht unbemerkt blieb. Im Gegensatz zu den USA aber haben deutsche Whiskybrenner das Glück, in der Fassauswahl für die […]

  • Glina Whisky 11. September 2020 at 23:01 Reply

    […] dazu, also der Rye Whisky. Ein Glück! Denn der Rye Whisky hat in den USA und auch in Europa eine Renaissance erlebt. Das würzige Geschmacksprofil sollte darüber hinaus den Geschmack der deutschen Fans […]

  • Deutsche Brennereien und Social Media 29. Dezember 2020 at 13:09 Reply

    […] Anlehnung an die Schotten Rye Whisky, der aus einer einzelnen Brennerei kommt. Nun tragen hunderte Rye Whisk(e)ys, auf die gleiches zutrifft, nicht das Präfix […]

  • Unser Jahr des deutschen Rye Whiskys 27. Dezember 2021 at 23:38 Reply

    […] 2019 ließ sich noch die Frage stellen, ob die immer zahlreicher werdenden Rye Whiskys eine vorübergehende Modeerscheinung waren […]

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