Unser Jahr des deutschen Rye Whiskys

Ein Lagebericht zum deutschen Rye 2021 (unser 100. Beitrag!)

Anno 2021: mehr Rye denn je

Ende 2019 ließ sich noch die Frage stellen, ob die immer zahlreicher werdenden Rye Whiskys eine vorübergehende Modeerscheinung waren oder doch die Speerspitze eines langanhaltenden Trends. Diese Frage stellt sich Ende 2021 nicht mehr.

Rye hat sich auf beiden Seiten des Atlantiks fest etabliert. Besonders bemerkenswert ist dies im eher konservativen Whisky-Deutschland. Doch die zielgruppengenauen Marketingaktionen von Könnern wie Kyrö erreichen selbst hierzulande immer mehr Fans. In Berlin-Kreuzberg sieht man sogar große Plakate von Kyrö-Rye, die mit den altbekannten Glenfiddichs zur Weihnachtszeit konkurrieren. Mehr noch, 2021 hat die erste größere Vermarktungswelle eines waschechten Scotch Rye gesehen – so weit ist es gekommen!

Dem viele Jahre währenden Trend ist es zu verdanken, dass es viele spannende Rye Whiskys aus Deutschland gibt. Und die sind gut! Zwar thront das US-Vorbild in vieler Hinsicht noch über dem Rye anderer Länder, doch im Falle deutschen Ryes müssen die Amerikaner schon ihrer besten Kaliber auffahren, um sich an der Spitze zu behaupten. Dank des Whiskyfestes in Köpenick und SpiritsONE hatten wir die Gelegenheit, auch amerikanische Rye Whiskeys kleinerer Distillerien zu versuchen. Die meist vergleichbar großen – oder besser gesagt: kleinen – deutschen Brennereien schnitten da oft besser ab. Binnen nur weniger Jahre hat deutscher Rye international konkurrenzfähiges Level erreicht. Da zudem immer mehr Brenner dem Roggen soweit vertrauen, um ihn dauerhaft im Programm zu führen, lohnt sich Blick auf den aktuellen Stand und Entwicklung heimischen Ryes.

Wir befassen uns hier zunächst mit den Philosophien, die hinter den doch sehr verschiedenen Abfüllungen stehen, bevor wir uns einigen Highlights dieses Jahres zuwenden. Zum Schluss erfolgt ein Ausblick auf das Jahr 2022, unsere Hoffnungen und Wünsche.

Warum deutscher Rye anders funktioniert als deutscher Single Malt

Als der deutsche Single Malt vor etwa 20 Jahren erste breitenwirksame Aufmerksamkeit erfuhr, war er erzkonservativ in seiner Ausrichtung: das große Vorbild war und ist für viele der Scotch. Maische, Fasstypen und Lagerung richteten sich strikt nach diesem Vorbild. Die unterschiedlichen Brennblasen, die meist kürzere Lagerzeit und die geringere Erfahrung der Deutschen sorgten dann für ein dem Scotch im Regelfall deutlich unterlegenes Produkt. Von diesem Imageschaden hat sich deutscher Whisky bis heute kaum erholt.

Den unsäglichen Vergleich mit Schottland haben sich die deutschen Brenner aber selbst zuzuschreiben. Das Streben nach eigenständigem Whisky bleibt oft nur Lippenbekenntnis – wo es überhaupt zu finden ist. Inzwischen ist die Erfahrung viel größer und auch der Mut zum Experimentieren wächst und wächst. Das Resultat sind spannende und qualitativ hochwertige Single Malts. Doch aus dem Schatten Schottlands treten sie nur allzu langsam; zu sehr dominiert dieses Mutterland des Whiskys die Gedanken der Fans und der Brenner.

Ein Vorbild, aber kein unerreichbares

Dieses Problem hat Rye Whisky nicht, obgleich er ebenfalls aus einem Mutterland des Whiskys stammt, den USA. Trotz seiner bemerkenswerten Renaissance in Nordamerika und seiner Etablierung in Europa scheint dem Rye jene beinahe mythische Aura abzugehen, die Scotch für viele Genießer hat. Im Gegenteil sieht sich amerikanischer Whisky eher mit Vorurteilen und sehr national geprägten Topoi konfrontiert – man denke an die berühmte Klebstoffnote, deren Erwähnung englischsprachige Rezensenten meist irritieren würde.

Für den deutschen Rye ist dies indes ein Vorteil. Es gibt keine Säulenheiligen, keine Überväter, keine unerreichbaren Vorbilder, die es sklavisch zu kopieren gälte. Dies erlaubte von Anfang mehr Gestaltungsfreiheit und Mut zum Experiment. Und das fertige Produkt muss sich nur allzu selten mit den großen US Ryes messen, weil die hierzulande kaum jemand kennt. Stattdessen gilt der Rye als frische, neue Spielart des Whiskys. (Und das, obwohl sie historisch gesehen wohl eher die älteste ist…).

Erzwungene Innovation

US Rye ist streng reguliert und prinzipiell gelten dieselben Auflagen wie für den Bourbon, nur dass mindestens 51% Roggen statt Mais in der Maische sein müssen. Das bedeutet nicht zuletzt die Verwendung frischer Eiche und dies wiederum schränkt die Geschmacksvielfalt ein. Allerdings haben die Amerikaner diese Spielart perfektioniert.

Auch in Deutschland findet sie sich, wenn auch weniger oft. Unbenutzte, ausgebrannte amerikanische Eichenfässer sind einfach nicht die erste Wahl für deutsche Brenner. Eher findet sich deutsche Eiche, zwar thermisch behandelt, aber meist nicht ausgebrannt. Da ex-Bourbonfässer, Sherry- und Portweinfässer zum Industriestandard gehören, liegt auch ihr Gebrauch nahe. Zudem können die deutschen Brenner oft heimische Weinfässer heranziehen. Mehr noch, Exoten wie Glühweinfässer, Brandweinfässer und viele mehr sind dem deutschen Whisky nicht fremd.

Rye im Rotweinfass: in Deutschland kein Problem

Allein die breitere Fassauswahl garantiert eine gewisse Innovation gegenüber den Amerikanern, aber auch gegenüber der europäischen Konkurrenz. Dies kann mit einem qualitativen Vorsprung einhergehen. Im Umgang mit jenen Fasstypen nämlich ist beträchtliche Erfahrung vorhanden. Hier zahlt sich der Lernprozess aus, den die Produktion deutschen Single Malts erforderte.

Ein weiterer Unterschied ist die Maische. Kaum ein deutscher Brenner käme auch nur auf die Idee, Mais beizumischen, wie dies die Amerikaner ihrerseits gleichsam selbstverständlich fast immer tun. 100% Roggen oder nur geringe Anteile an Gerstenmalz sind in Deutschland weit verbreitet, wobei der Roggen wahlweise gemälzt oder wie in den USA ungemälzt sein kann.

Zuletzt wäre die Frage der Brennblasen zu betrachten. Die hierzulande oft verwendeten Hybridanlagen liefern naturgemäß andere Ergebnisse als amerikanische Kolonnen oder schottische Pot Stills, scheinen aber mit dem Getreide vorzüglich zu harmonieren.

Deutscher Rye 2021

Nach all der Vorrede… wo steht deutscher Rye Whisky? Wie die Karte unten zeigt, haben wir in den vergangenen Monaten acht Rye Whiskys aus Deutschland rezensiert. (Eine dieser Rezensionen wurde aus redaktionellen Gründen nicht veröffentlicht). Daneben haben wir weitere gekostet, wenn auch nicht hier besprochen. Dieses Jahr fanden zudem sieben weitere Rye aus aller Welt den Weg auf unsere Website, darunter der Amrut Rye, der berühmt-berüchtigte Crown Royal Northern Harvest Rye und der allzu klassische Michter’s Rye.

Und deutscher Roggenwhisky schlägt sich gut in diesem hochkarätigen Umfeld. Natürlich überzeugt nicht jeder gleichermaßen, die besten heimischen Vertreter können aber durchaus in der Champion’s League spielen.

Auffällig ist die geographische Verteilung der Brennereien. Die Mehrheit liegt im Norden und Osten des Landes. Nun ist richtig, dass wir als Berliner ein entsprechendes Einzugsgebiet haben, welches Brandenburger Whisky bevorzugt. Darum durchsuchen wir regelmäßig das Netz nach neuem deutschen Rye und dabei verschlägt es uns nur vereinzelt nach Süddeutschland.

Dies mag damit zusammenhängen, dass die süddeutschen Brennereien zumeist schon länger Whisky produzieren und noch mehr am Single Malt hängen als die nördlichen Brennereien, die Whisky erst später für sich entdeckten. Dies wäre eine eigene Untersuchung wert… Dieser Schwerpunkt spiegelt jedenfalls die deutsche Landwirtschaft, denn Roggen wird zuvorderst im Nordosten angebaut. Nicht ganz zufällig wird dort auch das meiste Schwarzbrot gegessen.

(© Karen Heine, DoktorWhisky.de) Ein klarer Schwerpunkt unserer rezensierten Ryes lag im Nordosten, was sich deckt mit…
… dem Roggenanbau in Deutschland (Quelle: Proplanta.de)

Umso erstaunlicher, dass dieser geographischen Konzentration ein vielfältiges Angebot konzeptionell verschiedener Ryes erwächst. Bei Nine Springs begegnet uns Rye nach US Vorbild, Finch und Insarnhoe setzen auf Weinfässer, während Grumsiner mit der ungewöhnlichen Kombination aus Roggen und Rumfass aufwartet. Einen wohl noch merkwürdigeren Ansatz  verfolgt Lübbehusens Rye mit einem Ryefass-Finish. Beinahe konventionell dann mutet Glinas Vorliebe für Rye aus Starkweinfässern wie Port und Sherry an.

Nirgends auf der Welt finden sich so viele Ideen für Rye auf so engem Raum so gekonnt umgesetzt. 2021 war bislang der Höhepunkt dieser Entwicklung.

Unsere drei Highlights eines starken Jahres

Ungeschlagenes Preis-Leistung-Verhältnis: Nine Springs Rye

Nine Springs Rye

Gerade einmal 30 Euro kostet der Nine Springs Rye und er ist jeden Cent wert. Und selbst wenn er teurer wäre, fände er seine Fans. Ein gradliniger Rye, der tatsächlich den Straight Ryes jenseits des Atlantiks sehr ähnlich ist.

Frische amerikanische Eiche und deutscher Roggen vereinen sich zu einem geradezu archetypischen Rye-Erlebnis – schwere, karamellige Süße trifft frisch-minziges Destillat, dazu ordentliche Würze. Fast aus dem Stand schafft Nine Springs hier, ein dem Rye-Mutterland würdiges Produkt vorzulegen.

Gerade diejenigen, die Roggen als Getreide für Whisky noch nicht so gut kennen, finden mit Nine Springs einen guten Startpunkt für die hoffentlich lange Rye-Reise.

Exotisch, wenn nicht gar esoterisch: Lübbehusen Rye Single Cask

Lübbehusen Rye

Wer ist eigentlich auf die Idee gekommen, Rye Whisky in einem Ryefass nachzureifen? Die Eckdaten dieses Whiskys sind sonst recht konventionell. Der Roggen ist diesmal gemälzt, was in Europa nicht ungewöhnlich ist, und er lag in frischer amerikanischer Eiche. Ein Finish in Ryefässern hingegen hat Neuigkeitswert. Ganz irrational ist die Entscheidung sicher nicht, sind Bourbonfass-Finishes doch fast allgegenwärtig.

Die Jugend des Whiskys, seine an Bitterkeit grenzende Würze, die er nicht zuletzt der Nachreifung verdankt, und die wieder dem Destillat eigenen Kräuter lassen diesen Whisky zur Herausforderung sogar für eingefleischte Rye-Fans werden. Diesen jedoch sei die eigenwillige Interpretation aus dem Hause Lübbehusen empfohlen.

Meisterlich: Glina Rye, 12 Jahre, Portweinfass

12-jähriger Rye von Glina

Schon Glinas 5-jährige Rye aus dem Sherryfass war ein ernster Mitstreiter um den Titel des besten Ryes. Er verbindet die kräuterige Qualität des Roggens mit der schweren Fruchtsüße des Sherrys. In eine ähnliche Kerbe schlägt der 12-jährige Rye aus dem Portweinfass, der seit ein paar Wochen erhältlich ist.

Zwölf Jahre sind für einen Rye Whisky ein beachtliches Alter und für deutschen Whisky sowieso. Doch beeindruckend ist nach wie vor das Zusammenwirken von Destillat und Fass, die sich mit ihren Charakteristika perfekt ergänzen. Die Reifezeit gibt dem Whisky zudem eine ungeahnte Tiefendimension und Vielschichtigkeit. Bei weitem der teuerste der deutschen Ryes, rechtfertigen Alter, konzeptionelle Klarheit und makellose Umsetzung den Preis.

Noch wichtiger ist jedoch der Mut, den Glina bewies, bereits vor 12 Jahren Roggenbrand in ein Portweinfass zu legen. Genau diese Art Mut braucht es in Deutschland, damit deutscher Whisky floriert.

Vom Destillat zum Desiderat: die Zukunft

2021 war ein starkes Jahr für deutschen Rye und die nächsten Jahre verheißen eine Steigerung des ohnehin schon hohen Niveaus. Dabei scheinen drei Stoßrichtungen sinnvoll:

Zunächst ist eine weitere Feinjustierung des bisherigen Angebotes zu erwarten. 2021 markiert im Grunde die Endphase der ersten Rye-Generation in Deutschland. Auch wenn die Ergebnisse für sich sprechen und die Konzepte absolut stimmig sind, kann die Umsetzung der nächsten Generation von den bislang gewonnenen Erfahrungen nur profitieren.

Darüber hinaus werden wir hoffentlich noch mehr Experimente sehen. Andere Holzarten, noch ausgefallenere Vorbelegungen und neue Getreidemischungen sind rechtlich gesehen möglich und zum Teil bereits bei deutschem Single Malt versucht worden. Wir bei DoktorWhisky warten ja immer noch auf den Rye aus dem Bierfass. Aber auch Cognacfässer, Fässer aus Kastanie oder über Holzfeuer geräucherter Roggen liegen nah. Angesichts der Kreativität deutscher Brenner (wenn es um Rye geht) sind solche Abfüllungen eigentlich nur eine Frage der Zeit.

Zuletzt hoffen wir auf mehr Abfüllungen in Fassstärke. Eingedenk der Breite des Rye-Angebotes gibt es davon erstaunlich wenig. Teilweise ist dies eine markwirtschaftliche Frage; der Preis des 12er Rye von Glina in Fassstärke etwa wäre nur Hardcorefans erklärbar gewesen. Der Preis bleibt eben das ewige Problem, wenn es um deutschen Whisky geht. Allerdings kann Rye auch jung überzeugen, dass Whiskys wie der 5-jährige Rye von Glina vielleicht durchaus stärker auf den Markt gebracht werden können.

Fazit: es kommt zusammen, was zusammen gehört

Rye Whisky aus Deutschland – das passt einfach. Zwar wird er auf absehbare Zeit ein Nischendasein führen, doch die Bausteine für eine glänzende Zukunft sind gelegt: Erfahrung und Innovationszwang, bester Roggen und das Selbstbewusstsein, keinem semimythischen Konkurrenzprodukt nacheifern zu müssen.

„German Rye Whisky“ könnte eine eigene Marke werden. Dafür müssten zwar noch ein paar mehr Hürden genommen werden, doch unerreichbar ist so ein Meilenstein nicht. Bis dahin genießen wir einfach, was deutsche Brenner aus dem Roggen zaubern.

2 Comments

  • Gryphon Pure Rye 23. Januar 2022 at 21:43 Reply

    […] blüht gerade auf. Besonders wenn es um Rye Whisky geht, gibt es kein Vorbeikommen mehr an den neuen Bundesländern. Insofern wundert nicht, dass die Rittmeister Destille im Süden Rostocks ebenfalls einen Rye […]

  • Dotzauer Rye Whisky 15. März 2022 at 22:38 Reply

    […] vergangenen Jahr haben wir uns fast ausschließlich mit Roggenwhisky beschäftigt, der aus der nördlichen Hälfte Deutschlands kam. Mit dem Dotzauer Rye bewegen wir uns gen Süden, nach Oberstreit in der […]

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