Korn oder Whisky?

Historische Aspekte der Terminologie deutschen Whiskys (auch: zurück aus der Winterpause)

Zwischen Tradition und Modeerscheinung

Deutscher Whisky ist längst keine Randerscheinung mehr. Zumindest in seiner Heimat hat er sich fest im Mainstream etablieren können. Dessen ungeachtet bleibt er Gegenstand kontroverser Debatten. Insbesondere ein Mangel an Tradition wird vielen Brennereien zum Vorwurf gemacht. Dass sie ihre fassgelagerte Getreidespirituose Whisky nennen, sei eine reine Modeerscheinung bedingt durch die steigende Beliebtheit des Whiskys in Deutschland. Sie könnten ihr Produkt auch gelagerten Korn nennen. Mit Blick auf die Tradition des Kornbrennens in Deutschland, unterschiedliche Herstellungsmethoden, bzw. andere Technik, und nicht zuletzt das Ergebnis scheint dies eine solide Argumentation zu sein.

Doch beinahe ironisch mutet dann an, dass ebenjener deutsche Korn in der englischsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts durchgehend als Whisky übersetzt wurde – und umgekehrt. Sollte demnach moderner deutscher Whisky erst Recht mit Korn bezeichnet werden oder besteht vielmehr eine Tradition, Korn unter bestimmten Vorzeichen unumwunden Whisky zu nennen?

Interessant ist, dass sich diese beiden Spirituosen im Laufe der Jahrhunderte teilweise nah beieinander bewegten, teilweise weit auseinander strebten. Eine klare Trennung zwischen ihnen beiden leuchtet uns im 21. Jahrhundert ein, ist aber keine 200 Jahre früher keineswegs so einfach festzumachen.

Echter Nordhäuser… Whisky? Ja.

Übersetzungen des 19. Jahrhunderts I: Von Whisky zu Korn

Thomas Charlton Speer hatte im 5. Dragoner-Garde-Regiment (Princess Charlotte’s of Wales) während der Napoleonischen Kriege als Chirurg gedient. Seine medizinische Karriere endete aber nicht Spanien, sondern er veröffentliche 1818 ein wichtiges Buch über die Magengesundheit. Dies wurde von Heinrich Robbi ins Deutsche übersetzt und im Falle des Whiskys setzte er eine Anmerkung hinzu:

„Whisky ist das Lieblingsgetränk aller Schotten, und gilt bei ihnen ungefähr das, was bei uns der Kornbranntwein ist, obgleich dieser lange nicht die Stärke und  Schärfe hat, als jener.“

Der Magen, seine Struktur und Verrichtungen, Leipzig 1824, 51 Anm.1

Um dem deutschen Leser den Whisky zu erklären, bemühte Robbi den Korn. Er schied zwar zwischen den beiden, jedoch nur in Stärke und Schärfe, also de facto im Alkoholgehalt. Andere Übersetzer waren weniger genau. An zahlreichen Stellen wird Whisky schlicht mit Kornbranntwein übersetzt. So heißt es in der Allgemeinen Encyclopädie der Wissenschaften und Künste von 1845: „Branntwein nennen sie Uisghe-beatha […] die Engländer gleich den Schotten Whiskey.“ Insbesondere Reiseberichte und Universallexika tendierten zu dieser lapidaren Übersetzung, mit alternierender Schreibweise von Whisky und Whiskey. Manches Mal wird sogar auf den Begriff Whisky verzichtet und schlicht von Branntwein geschrieben. Ganz vereinzelt ist von Whisky als Haferbranntwein die Rede, doch wenn die Getreidesorte thematisiert wird, bleibt die Gerste selten unerwähnt.

Auch am Ende des 19. Jahrhunderts subsumieren deutsche Wissenschaftler den Whisky unter Branntwein. Joseph König, Professor der Königlich-Preussischen Akademie, sah den Hauptunterschied zu deutschen Branntweinen in der Verwendung von Torfmalz, als er 1893 seine Abhandlung dazu publizierte. Dies ist communis opinio der Zeit. Wo König ein wenig Neues hinzufügte, war das Thema der Fassreifung: „Junger Whisky hat einen unangenehmen Beigeschmack und bedarf zur Entfernung derselben der Reife.“ Zwar sind hier nur subtraktive Effekte erwähnt und als Unterscheidung zu deutschem Korn scheint die Fassreifung nicht zu dienen, aber wenigstens wird sie angeführt.

Exkurs: Fasslagerung im 19. Jahrhundert

Fasslagerung ist für schottischen wie für deutschen Getreidebrand bis weit ins 19. Jahrhundert nicht die Norm. Noch 1862 übersteigt die Jahresproduktion von Whisky in Schottland die Lagerbestände um mehr als das Vierfache. Das heißt, ungelagerter Whiskys wurde weit häufiger verkauft als  gereifter Whisky. Gregory Miller (Whisky Science, 2019) sieht 1890 als Punkt, an dem fassgelagerter Whisky die Masse des Verkauften ausmachte. Er errechnet ein Durchschnittsalter von knapp vier Jahren.

Obwohl dies ein rein arithmetisches Mittel par excellence ist, bezeugt es erneut die Andersartigkeit des Whiskys im 19. Jahrhundert. Uns begegnet in der longue dureé überwiegend ungereifter Getreidebrand, der erst im letzten Viertel dieses Jahrhunderts nennenswerte Annäherungen an unsere moderne Vorstellung von Whisky machte. Diesen ungereiften Whisky mit Korn gleichzusetzen, ist daher eine völlig logische, ja zwingende Konsequenz.

Natürlich gab es schon früh Lagerhäuser in Schottland, sie werden ab 1823 rechtlich definiert und überwacht. Und natürlich wurde Whisky schon immer in Holz gelagert und transportiert. Erfahrungen damit blieben also nicht aus. Nun ist dies alles ebenso zutreffend für deutsche Brennereien. Auch hier gab es Lagerhäuser, auch hier diente Holz als Lager- und Transportmittel.  Im Nordhausen des 19. Jahrhunderts lagerte Kornbranntwein grundsätzlich in Fässern und galt ohne diese Reifung als untrinkbar:

„Der Kornbranntwein, um ein schlagendes Beispiel hervorzuheben, wird erst in der Lagerung [zu dem, was es ist], kein Mensch kann und wird das Destillat von heute als Kornbranntwein anerkennen“

Polytechnisches Notizblatt 49 (1894), 187

Alter Korn war meist weißweinfarben, was angesichts der verwendeten Fässer aus Limousineiche (vermutlich) ohne thermische Behandlung schon eine gewisse Zeit im Holz bedeutet, und Uralter Korn war noch älter. Auch außerhalb Nordhausen findet sich das Konzept, z.B. überliefert Schraml für 1818 ein Rezept zur Lagerung seines Kornbranntweins in Cognacfässern.

Ansätze zur Fasslagerung gab es demnach hüben wie drüben. Erst sehr spät im 19. Jahrhundert divergierten die Entwicklungen signifikant.  

Übersetzungen des 19. Jahrhunderts II: Von Korn zu Whisky

Bis zur Reichsgründung 1871 nahm auf den Britischen Inseln kaum jemand deutsche Kornbranntweine überhaupt zur Kenntnis. Sehr vereinzelt ist von German Whisky die Rede, wenn irgendeine Art Spirituose gemeint war. In der Honduras Gazette, einem Kolonialwirtschaftsblatt, bewirbt Importeur Thomas Pittstock am 14. Juli 1827 „renowned Kierchewaser [sic] and German Whisky“, doch derartige Verweise sind relativ selten.

Die Honduras Gazette

Dies ändert sich massiv nach der Reichsgründung und vor allem nach dem Boom der Gründerjahre. German Whisky flutete den internationalen Markt. Allein in Bristol kamen jährlich 80.000 Gallonen deutscher Spirituosen an, sogar die Behörden in Indien mussten sich mit dem German Whisky herumschlagen und in den 1890ern beschäftigte dieses Problem dann das Parlament und zwar mehrfach.

Was war geschehen? Das Deutsche Reich setzte auf Export. 1890 operierten 39.417 deutsche Brennereien. Diese hatten ein Ausstoß von 2.215.000 Hektoliter reinen Alkohols – und das ist ohne Bayern, Württemberg und Baden gerechnet, da diese noch nicht zur Zollunion gehörten. Die eigentlichen Zahlen müssen also noch beträchtlich höher gewesen sein. Damit produzierte Deutschland deutlich mehr als das gesamte Empire zusammen, je nach Angaben bis zum Dreifachen.

Dass zumindest in Teilen mehr auf Masse als auf Klasse gesetzt wurde, bezeugen auch die Diskussionen um den Kartoffelsprit. Dieser wurde zu neutralem Primasprit verarbeitet und zum Ärger mancher Nordhäuser mit Kornbranntwein verschnitten. Dies erzeugte ein billiges Produkt, das aber mit dem gelagerten Korn nur wenig gemein hatte. Sogar der Kanzler höchstpersönlich, Otto von Bismarck, schaltete sich als Fan des Nordhäusers in diese Diskussion ein.

In Großbritannien gab es für solchen Kornverschnitt keinen direkten Endverbraucherbedarf. Zu dieser Zeit dominierte bereits der fassgelagerte Whisky, der allenthalben größeren Anklang fand. Vermutlich zu Recht. Ebenfalls in diese Zeit fällt eine merkliche sprachliche Distanzierung vom German Whisky, der nun gelegentlich in Anführungsstriche gesetzt wird. Im Fall des Kartoffelsprits weigerten sich viele auch, das Wort Whisky überhaupt zu benutzen und schreiben German spirit.

Trotzdem heißt es im Brewer’s Guardian vom 22. Juli 1890: „The native manufacture of whisky suffered from the importation of German Whisky [ohne Anführungsstriche]“ und fast schon furchtsam liest sich eine Nachricht aus den Edinburgh Evening News ein paar Jahre später, dass sich „40 German Whisky distilleries at Nordhausen“ zusammenschließen wollten. Gemeint sein dürfte die 1904 gegründete Vereinigung der Nordhäuser Kornbranntwein-Fabrikanten e.V., deren primäres Ziel allerdings die Bekämpfung des Kornverschnitts und die damit einhergehende Rufschädigung des Nordhäusers  war.

Ein Zusammenschluss zur Qualitätssicherung

Die Furcht war dennoch berechtigt. Denn obwohl der britische Endverbraucher nicht das geringste Interesse an deutschem Whisky (oder Korn) hatte, konnten britische Whiskyproduzenten seine Einfuhr kaum abwarten. Blended Whisky nämlich war der Verkaufsschlager schlechthin und wenn ein solider Lead Malt in kleinen Mengen genügte, große Mengen Grain Whisky zu tragen… konnte er das nicht auch mit dem weniger kostenintensiven deutschen ‚Whisky‘? Ja, das funktionierte sogar ausnehmend gut. Diese Praxis thematisiert das britische Parlament wieder und wieder. Mr. Duff aus Banffshire, vielleicht für die Brennerei Banff sprechend, forderte am 21. Mai 1890:

„I, therefore, ask the chancellor of the Exchequer for an assurance that he will put a stop to custom of allowing Scotch whisky, adulterated with German potato spirit, to be sold in the open market as genuine Scotch whisky.“

Hansard’s Parliamentary Debates 344 (1890), 1439f.

Es ist auch diese Praxis, obwohl in Großbritannien erfunden, die zum Leidwesen der Schotten in der Weimarer Republik perfektioniert wurde. Es ist tragisch, dass die Öffentlichkeit auf den Inseln kaum oder gar nicht in Berührung mit den qualitativ hochwertigen Kornbranntweinen gekommen ist. Daher blieb das Bild vom deutschen Whisky lange negativ konnotiert.

Übersetzung und Interpretation. Ein Zwischenfazit

Jede Übersetzung ist in ihrem Wesen eine Interpretation, die einen Begriff erklären und verständlich machen sollen. Korn als Whisky zu übersetzen kann nur dann funktionieren, wenn die beiden Spirituosen für die Übersetzer und ihr Publikum prinzipiell wesensgleich waren. Das, was in Deutschland hergestellt wurde, erfüllte über weite Strecken des 19. Jahrhunderts dieses Kriterium, konnte damit Whisky genannt werden – obwohl es in der Heimat Korn genannt wurde.

Könnte deutscher Whisky heute mit diesem Wissen also Korn genannt werden und somit eine vermeintlich traditionelle Bezeichnung erhalten? Auch hier ist die Übersetzungsfrage hilfreich. Niemand könnte heutzutage Korn mit Whisky übersetzen, zu weit liegen ihre Charakteristika auseinander. Der Hauptunterschied ist ohne jeden Zweifel die Fasslagerung. Unterschiedliche Getreidesorten oder Destillationsverfahren gibt es auch beim Whisky, doch die breite Masse des zeitgenössischen Korns verbringt keine Sekunde mehr im Holz.

Wer von Korn spricht, meint eine klare Spirituose; wer von Whisky spricht, eine fassgelagerte. Dass dies eine in historischer Makroperspektive junge Entwicklung ist, ändert nichts an ihrer Wirkmächtigkeit. Sogar in den USA, wo die Gesetzgebung ungereiften Getreidebrand durchaus als Whisky sieht, meint der Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch einen im Fass gereifte Getreidebrand. Eine ausgedehnte Reifezeit im Holz ist also sine qua non für die Einstufung als Whisky.

Doch gibt es selbst heute noch Korn, der im  Fass liegt. Es gibt sogar den Lagerkorn.

Lagerkorn und Lagerkorn®

Ganz unbedarft scheint der Begriff Lagerkorn in Analogie zum Lagerbier entstanden zu sein: gelagerter Kornbranntwein. Tatsächlich führt Sasse Lagerkorn® in seinem Programm.  1985 hatte Rüdiger Sasse eine Flasche seines Urgroßvaters Theo entdeckt, die 25 Jahre lang gelagerten Korn beinhaltete. Da wollte er diese Tradition wiederbeleben und nannte seinen Whisky nicht wie jeder andere Whisky, sondern Lagerkorn. So mancher möchte deutschen Whisky lieber so bezeichnen, klingt Lagerkorn doch treffend, traditionell und trennscharf.

Was zunächst eine überaus elegante Lösung verspricht, scheitert an der Realität. Schon das ®-Zeichen deutet an, dass es sich bei Lagerkorn® nicht um einen Gattungsbegriff handelt, sondern um eine registrierte Marke. Die wird von Sasse juristisch verteidigt, andere Brennereien können sie also nicht nutzen.

Selbst wenn doch… sie wollen es vermutlich nicht. Lagerkorn (ohne ®-Zeichen) beschreibt ein Agrarphänomen, bei dem sich die Körner oder Fürchte eines Getreides nach Umknicken der Halme auf dem Ackerboden ablagern. Dieser Begriff ist seit Jahrhunderten fest in der Landwirtschaft etabliert. Kornbranntwein bzw. Whisky gehört als Agrarprodukt in diese Welt und ihre Fachsprache. Seine Produzenten waren bzw. sind zum Teil immer noch Landwirte, die den Begriff Lagerkorn eben nicht mit einer Spirituose assoziieren können.

Im Übrigen wird Sasses Lagerkorn® im Englischen als wiederum Grain Whisky übersetzt.

Das deutsche Dilemma

Lagerkorn fällt demnach als Begriff für fassgelagerten Kornbranntwein aus. Auch ein Rückgriff auf den Alten Korn ist nur bedingt hilfreich. Zwar ist er grundsätzlich denkbar, denn seine rechtliche Definition umfasst eine vorgeschriebene Reifezeit von mindestens sechs Monaten; bei Namen, die ein noch höheres Alter suggerieren, sind es drei Jahre. Allerdings ist dies eine recht junge EU-Verordnung (technical file), gültig seit 2016. Die meisten Menschen werden bei solchen Begriffen wohl trotzdem noch den klaren Korn vor Augen haben. Außerdem hat die Mehrheit der Beispiele für Alten Korn einen geringeren Alkoholgehalt als Whisky.

Ein erneuter Blick nach Nordhausen zeigt, wie vorsichtig mit der Terminologie umgangen werden muss. Die Traditionsbrennerei nämlich führt parallel Whisky und im Fass gereiften Kornbranntwein, den sie Premium-Korn nennen. Die Unterschiede zwischen diesen beiden erschöpfen sich auch keineswegs in Alkoholgehalt, Dauer der Lagerung und Art der Hölzer, sondern betreffen die Maische und das Brennverfahren. Es liegen zwei sehr distinkte Produkte vor, deren Distinktion sich nicht zuletzt deswegen sprachlich niederschlagen muss, weil sie aus demselben Hause kommen.

Wenn deutscher Whisky nicht so genannt werden soll, müsste die Terminologie ab einem gewissen Punkt dann derart präzise werden, dass der entstehende Terminus nachgerade albern erscheint: überstarker, besonders lang gelagerter, zweifach destillierter Alter Korn. Ohne diese Präzision hingegen würden Verbraucher in die Irre geführt werden, weil die Charakteristika von Altem Korn und Whisky – in der Wahrnehmung der breiten Masse – zu weit auseinander liegen. Allenfalls ein Neologismus könnte hier Abhilfe schaffen.

Das deutsche Dilemma ist, dass wir nicht mehr im 19. Jahrhundert leben. Eine Übersetzung von (Altem) Korn als Whisky war seinerzeit sinnvoll. Doch heute kommt sie nicht mehr in Frage. Gleichsam ist schwer vorstellbar geworden, deutschen Whisky als Korn zu bezeichnen.

Kein Whisky, obwohl eng verwandt

Keine einfachen Antworten

Dass Whisky ein Gattungsbegriff ist und eben keine Herkunftsbezeichnung, kristallisierte sich schon in der Weimarer Republik heraus und wurde in den folgenden Jahren unumstößlich festgelegt – sehr zum Leidwesen der Schotten. Wir können heute weder dahinter zurückfallen, noch die divergierende Entwicklung von Whisky und Korn ignorieren. Rein juristisch darf deutscher Whisky durchaus als Alter Korn bezeichnet werden. Damit steht er in einer stolzen Tradition – nur leider kennt die kaum jemand mehr.

Fassgelagerten Kornbrand aus Deutschland Whisky zu nennen, hat dagegen lange Tradition, wenn auch nur als Übersetzung. Diese Übersetzung wiederum basierte auf der Wesensgleichheit des damaligen Whiskys mit dem damaligen (Alten) Korn. Suchen wir heute nach einer wesensgleichen Spirituose zum länger fassgelagerten overproof Kornbranntwein aus Deutschland, finden wir schnell den Whisky. Am Ende kommen unsere Überlegungen doch zum Gattungsbegriff zurück.

Fehlt bisweilen auch die Erfahrung, ist deutscher Whisky eindeutig als Spielart des Whiskys zu erkennen. Und derer Spielarten gibt es zur Genüge. Die Verengung auf Single Malt im Blick vieler deutscher Whiskyfans lässt zwar die Unterschiede zwischen deutschem Whisky und Scotch gewaltig erscheinen. Wer dagegen die Vielfalt des Whiskys in seiner gesamten Schönheit erkennt – mit Bourbon, Rye, Pot Still Whiskey, Oat Whisky – sieht da deutlich weniger Unterschiede. Das ist im Übrigen auch ein valider Kritikpunkt: gerade deutscher Single Malt soll allzu oft schottischen Single Malt imitieren, statt ein eigenes Profil herauszubilden. Indes spricht diese Kritik ebenso dafür, ihn einfach deutschen Whisky zu nennen.

Juristisch ist auch dies erlaubt. Subjektiver Natur sind dann die Bewertungen zur gefühlten Tradition und zur geschmacklichen Qualität des Produktes. Historisch gesehen jedenfalls greifen deutsche Whiskybrenner dabei (zumeist) eine Entwicklung im 19. Jahrhundert auf, in der deutscher Korn eine solche Nähe zu Whisky hatte, dass er so übersetzt wurde. Selbst im Deutschen Reich wurde Korn oft als Whisky vermarket.

Deutscher Whisky 1914
Anzeige der Brennerei Magerfleisch für deutschen Whisky, aus: Kriegsalbum der Lustigen Blätter, Bd. 3, 1914

Erst die Nazis versuchten, dem ein Ende zu machen. Rauchkorn anstatt Whisky sollte das Maß der Dinge sein, immer noch darauf insistierend, dass allein der Torf das geschmacksformierende Moment für Whisky sei. Und natürlich dürfte ein deutsches Produkt nicht Whisky heißen. Diese Episode endete im Bombenhagel und im Genozid. Aber sie endete. Wollen wir wirklich die Argumentation der Nazis aufgreifen und standhaft verweigern, dass deutscher Getreidebrand mit Fassreifung den Namen Whisky tragen darf, nur weil er aus Deutschland kommt?

In summa begegnet uns beim fassgelagerten Getreidebrand eine ebenso gebrochene Traditionslinie  wie in der gesamten deutschen Geschichte auch. Und daher kann es keine einfache Antwort geben auf die Frage, ob es Whisky oder gelagerter Korn heißen soll.

Ausgewählte Literatur

Friebe, Michael/ Hill, Anne: Lagerkorn — the Historic German Grain Whisky — Barrel Aged Corn Distillate from the Münsterland (Poster Session presented at Worldwide Distilled Spirits Conference, Glasgow, United Kingdom, 2017), von: https://www.researchgate.net/publication/326010785_German_cask_aged_wheat_whisky_distillate_from_the_Munsterland_-_maturation_analysis [letzter Zugriff am 13.01.2024].

König, Joseph: Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genussmittel, Zweiter Theil.  Die menschlichen Nahrungs- und Genussmittel, ihre Verfälschungen und deren Nachweis, Berlin 1893.

Lappenberg, Johann Martin, s.v. Irland, Branntweinbrennereien, in: Ersch, Johann Samuel / Gruber, Johann Gottfried (Hgg.): Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste 24, Leipzig 1845, 27.

Meyer, Karl: Geschichte des Nordhäuser Branntweins, Nordhausen 1907 (Festschrift zur Erinnerung an das 400jährige Bestehen der Nordhäuser Kornbranntwein-Industrie).

Miller, Gregory: Whisky Science. A Condensed Distillation, Berlin 2019.

Robbi, Heinrich: Der Magen, seine Struktur und Verrichtungen. Nach dem Englischen bearbeitet und mit einigen praktischen Bemerkungen über die Krankheiten der Magenhäute versehen, Leipzig 1824 (Ergänzte und überarbeitete Übers. von Speer, Thomas Charlton: General Views Relating To The Stomach, Its Fabric And Functions, London 1818).

Sell, Eugen: Ueber Branntwein. Seine Darstellung und Beschaffenheit in Hinblick auf seinen Gehalt an Verunreinigungen, sowie über Methoden zu deren Erkennung, Bestimmung und Entfernung, Berlin 1888.

Werther, Hans-Dieter: Über 500 Jahre »Nordhieser Branntewien«, in: Grönke, Hans-Jürgen (Hg.): Zur Industriegeschichte im Südharz, Berlin 2016, 59-90.

o.A.: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 13 (1892), hg. vom Kaiserlichen Statistischem Amt, Berlin 1892.

o.A.: Lagerung geistiger Flüssigkeiten und Getränke (1), in: Polytechnisches Notizblatt 49 (1894), 187.

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