Deutscher Whisky vor dem Reichsgericht
Rechtshistorisches zum deutschen Whisky von 1890 bis 1938
Deutscher Whisky seit über 130 Jahren. Doch was ist deutscher Whisky?
Die Frage, wann der erste deutsche Whisky auf den Markt kam, bewegt die Gemüter. Viele denken hier sicher an die Blaue Maus oder Red Fox und Racke Rauchzart, jedenfalls an die grauen Tage der Bundesrepublik. Mancher weiß, dass in Deutschland fassgereifte Kornbrände, die sehr wohl einen Anspruch auf das Label Whisky erheben könnten, eine lange Tradition haben.
Doch überraschend ist vielleicht der Fakt, dass ein Vierkleeblatt-Whisky der Firma Lappe aus Neudietendorf schon 1900 auf der Pariser Weltausstellung prämiert wurde. Nun ist der zu erwartende Einwand, dass dies ja unmöglich ‚richtiger‘ Whisky gewesen sein könne, sondern allenfalls besagter Kornbrand. So einfach liegen die Dinge allerdings nicht. Die Lappe-Whiskybrennerei, wie sie offiziell hieß, produzierte nämlich dezidiert „Malzbranntwein (pure malt whisky)“ und das seit 1890. Dies ist sicher mehr Kuriosum denn Indiz für eine blühende deutsche Whiskyindustrie, wenngleich ungemein faszinierend.
Aber erst nach dem Weltkrieg gelangte Whisky zu größerer Beliebtheit in Deutschland. Es entstand eine beachtliche Nachfrage, die sich findige Brenner und Kaufleute erstaunlich schnell zu Nutze machten. Manche nannten ihren fassgelagerten Korn direkt Whisky, andere importierten schottisches Destillat und füllten es ab – ein klarer Vorläufer der unabhängigen Abfüller – die Mehrheit hingegen versetzte dies mit lokal gebranntem Destillat.
Die Globalisierung und die kosmopolitische Natur der Weimarer Eliten hatten dann desgleichen zur Folge, dass solch „deutscher Whisky“ alsbald kontrovers diskutiert wurde. Nicht zuletzt die deutschen Importeure von Scotch, darunter Joachim von Ribbentrop, waren alles andere als begeistert. Immerhin kostete echter schottischer Whisky aufgrund der höhen Zölle 20 Reichsmark, während der Whisky aus Deutschland für rund die Hälfte verkauft wurde. Im Buhlen um Marktanteile verneinten die Schotten kategorisch, dass im Deutschen Reich überhaupt Whisky herstellt werden könne, und versuchten dies verbieten zu lassen.
Whisky vor Gericht. Eine rechtshistorische Spurensuche
Es ist eben jener Punkt in der Geschichte, an dem zentrale Fragen diskutiert wurden: Was unterscheidet eigentlich Whisky von Kornbrand? Darf letzterer Whisky heißen? Was ist „deutscher Whisky“?
In Deutschland kann es auf solche Fragen freilich nur eine Antwort geben, eine juristische. Das Reichsgericht beschäftigte sich zweimal mit dem deutschen Whisky, 1934 und 1936. Die Urteile widersprachen sich mitunter und noch 1938 war die Diskussion nicht beigelegt. Eine finale Entscheidung konnte das Reichsgericht nicht treffen, denn ein zweiter Weltkrieg brach aus und beendete schließlich seine Existenz, weil es nichts als der verlängerte Arm der verbrecherischen Legislative geworden war.
Spannend sind die Urteile des Reichsgerichts bezüglich Whiskys nichtsdestotrotz. Sie geben wertvolle Einblicke in die Vorstellungen der 30er über Whisky und erlauben daher auch eine Reflektion über die Natur des Whiskys an sich, nicht zuletzt die immer noch heiß debattierte Frage des Unterschieds zum fassgelagerten Korn. Es lohnt also, einen Blick auf die Urteilsbegründungen zu werfen und sie im Folgenden historisch einzuordnen.
Whisky als Herkunftsbezeichnung? Der Fall Blackburn & Co. von 1934
Das Berliner Unternehmen Blackburn & Co. bot von 1927 bis 1934 den Ambassador Whisky an. Das Label gab klar zu erkennen, dass dieser mit „Original Scotch Pure Malt Whisky nach Art der englischen Blender“ hergestellt wurde. Blackburn bediente sich einer damals gängigen Praxis, Single Malt aus Schottland einzuführen und ihn mit heimischem Destillat zu verschneiden. Tatsächlich ist Blended Whisky nichts anderes, nur dass auch die Grains heutzutage schottischer Herkunft sind. Im Übrigen war damals das Wort Single Malt unüblich und einen überregionalen Vertrieb desselben startete erst Glenfiddich 1963; auch noch unter Verwendung des Begriffs Pure Malt.
Das Reichsgericht hingegen stellte lapidar fest:
Der Beklagte stellt in Berlin Kornbranntwein her, den er als Whisky vertreibt.
RGZ 143, 175
Damit ist die Natur des Getränkes kaum ausreichend erfasst und der Anteil schottischen Whiskys im Blend wurde nicht näher thematisiert. Vielmehr war die Frage, ob ein deutsches Produkt Whisky heißen darf. Die Klägerinnen – die Vertretung der Klage ist grundsätzlich weiblich in den Akten – wollten desgleichen genau dies verbieten, also einen deutschen Branntwein als Whisky zu bezeichnen. Die Fasslagerung, der Geschmack oder die Verschneidung mit Scotch erschienen dem Gericht wie den Klägerinnen weitgehend irrelevant. Es ging um die Herkunft der Spirituose.
Das Wort Whisky sei eine Herkunftsbezeichnung, keine Gattungsbezeichnung. Mit anderen Worten, nicht etwa Geschmack oder Herstellung unterschieden Korn von Whisky, sondern der Produktionsort. Das Gericht stimmte dem zu:
Es sei […] zu unterlassen, einen Branntwein, der deutsches Erzeugnis ist, unter der Bezeichnung „Whisky“ anzubieten […] falls nicht der Bezeichnung „Whisky“ in gleicher Sinnfälligkeit ein Hinweis darauf hinzugefügt wird daß es sich um ein deutsches Erzeugnis handelt.
RGZ 143, 177
Die Begründung hob darauf ab, dass deutsche Verbraucher unter Whisky grundsätzlich eine „englische“ Spirituose verstünden, „wobei England gleichbedeutend mit Großbritannien gemeint sei“. Schon vor dem Krieg habe man in Deutschland Whisky genossen und diesen als englisch angesehen. Daher müsse es eine Herkunftsbezeichnung sein. In der Vergangenheit möge es eine Gattungsbezeichnung gewesen sein, doch dies sei vorbei. Das zeige sich auch darin, dass englischer Whisky zu einem erheblich höheren Preis verkauft werde als deutscher Whisky.
Die Aporie dieser Argumente, ganz besonders des letzteren, sollte nur zwei Jahre später durch dasselbe Gericht offengelegt werden. Allerdings wurde bereits im 1934er Urteil vermerkt, dass die lange Duldung solchen Whiskys die Frage verneint, ob die Verwendung des Begriffs Whisky den deutschen Brennern generell verboten werden sollte. Inzwischen sei ein „erheblicher Besitzstand“ durch die Beliebtheit des deutschen Whiskys vorhanden, weswegen derselbe als (sprachlich) „geschlossene Einheit“ durchaus vermarket werden dürfte.
Whisky als Gattungsbezeichnung? Der Fall S-Marken-Import von 1936
Zufrieden war mit dem Urteil von 1934 kaum jemand. Die Schotten hatten nicht erreichen können, der Verwendung des Wortes Whisky durch deutsche Brennereien einen Riegel vorzuschieben. Diese wiederum waren unglücklich darüber, dass Whisky nun eindeutig eine Herkunftsbezeichnung geworden war.
1936 wurde erneut verhandelt, weil die S-Marken-Import GmbH zusammen mit schottischen Firmen in der deutschen Fachpresse verlauten ließ, dass deutsche Brennereien das Wort Whisky nicht benutzen dürften. Dagegen klagte die in Bremen ansässige Weinbrennerei und Likörfabrik Güldenhaus.
Sie steht in erster auf dem Standpunkt, daß das Wort „Whisky“ im Ausland wie im Inland eine reine Gattungsbezeichnung sei für Trinkbranntwein, der sich lediglich durch einen bestimmten Geschmack, nämlich einen rauchigen Geschmack, von anderen Trinkbranntweinen unterscheide. Ein Branntwein von solchem Geschmack werde, wie sie weiter ausführt, nicht nur in Großbritannien, insbesondere Schottland, sondern in vielen anderen Ländern, z.B. in Nordamerika, Kanada, Australien, Japan, Holland herstellt, wenn auch der Geschmack nicht überall der gleich sein möge.
Das Wort „Whisky“ weise nicht auf einen bestimmten Ort als ursprüngliche Herstellungsstätte hin, da es einen solchen nicht gebe, sondern bedeute – aus dem Altirischen stammend – „Lebenswasser“ […]. Deshalb könne ein Trinkbranntwein mit Rauchgeschmack, auch wenn er in Deutschland hergestellt werde, Whisky genannt werden, auf alle Fälle aber mit dem von der Klägerin verwendeten Zusatz „Deutscher“.
RGZ 151, 214f.
Die drei wesentlichen neuen Punkte sind der markante Geschmack, der das Wesen des Whiskys ausmache, die Herstellung von Whisky außerhalb Großbritanniens und die Tatsache, dass das Wort Whisky an sich nur Lebenswasser heiße und damit eine sehr allgemeine Bedeutung habe.
Darüber hinaus verwies die Klägerin darauf, dass es deutschen Whisky bereits seit 1902 gebe und durchaus beliebt sei, wenn er auch „nicht von großen Kreisen, sondern nur von einer bestimmten, geldlich besser gestellten Bevölkerungsschicht“ genossen werde. Immerhin hatte deutscher Whisky einen Marktanteil von 30%.
Auf schottischer Seite wurde argumentiert, dass nicht-britischer Whisky weitgehend unbekannt sei und überhaupt von unterlegener Qualität. Eine „besonders schlechte Nachahmung“ stamme aus Japan. Irland findet keine Erwähnung, eventuell wollten es die Briten es nach wie vor zum Empire zählen, trotz der Unabhängigkeit des Freistaats von 1922; eventuell war die Ausfuhr irischen Whiskeys nach Kontinentaleuropa vernachlässigbar.
Das Gericht gab der Klägerin Recht. Dazu hatte es ein Gutachten der Industrie- und Handelskammer eingeholt, das wesentliche Aussagen der Klägerin bestätigte. Leider hielten es die Juristen nicht für nötig, dieses Gutachten wenigstens auszugsweise dem Urteil beizufügen. Diesem zufolge sahen die deutschen Verbraucher keine Herkunftsbezeichnung im Wort Whisky, zumal es eben in anderen Teilen der Welt auch Whisky gebe. Dadurch sei Whisky eine Gattungsbezeichnung. Bemerkenswert ist auch, dass das Reichsgericht dem philologischen Argument der Klageführung erhebliche Schlagkraft beimaß: nämlich, dass uisge beatha als „Phantasiebezeichnung […] gattungsartigen Charakter hat“.
Großen Wert legte das Gericht zudem auf die Feststellung, dass „„Scotch Whisky“, „American Whisky“, „Canadian Whisky“ usw. in den Handel gebracht [wurde]; gegen keine dieser allgemein verwendeten Bezeichnungen von schottischen oder sonstigen großbritannischen Whisky-Erzeugern sei mit dem Erfolge eines gerichtlichen Verbots einer solchen Bezeichnung eingeschritten“.
Nach zwei Urteilen. Der Stand der Dinge 1938
Als Dr. Hugo Holthöfer, Oberlandesgerichtspräsident i. R., im Jahre 1938 seinen Überblick Deutsche Gesetzgebung über Branntwein veröffentlichte, betrachtete er die Frage nach wie vor als ungeklärt, ob Whisky nun Herkunfts- oder Gattungsbezeichnung sei. Für ebenso ungeklärt hielt er es, „ob in Deutschland – ohne oder unter Mitverwendung von aus Großbritannien stammenden Bestandteilen – hergestellte Erzeugnisse von der Art des „Whisky“ als „Deutscher Whisky“ bezeichnet werden dürfen.“
Obzwar Holthöfer das Urteil von 1934 auf „unvollständigen tatsächlichen Feststellungen“ beruhen sah und grundsätzlich dem Urteil von 1936 zugeneigt scheint, erwartete er eine höchstrichterliche Klärung der Frage, nach der sich die Praxis richten könne.
Auch der Chemie-Professor G. Büttner beschäftigte sich im selben Jahr mit Whisky im Rahmen seines richtungsweisenden Beitrags zu Branntweinen. In rechtswissenschaftlichen Fragen verwies er auf Holthöfer, seine (naturwissenschaftliche) Definition ist aber dennoch vielsagend:
Whisky, der Getreidebranntwein der Länder englischer Sprache, ist Branntwein aus Roggen, Weizen oder Mais und Gerstenmalz mit einem charakteristischen Geschmack. […] Der beliebte Rauchgeschmack des Whiskys entsteht dadurch, daß Malz auf einer Darre über Torffeuer getrocknet oder der Maischbottich kurz, bevor er beschickt wird, durch eine Pfanne mit glühendem Torf mit Torfruß und -rauch angefüllt wird. […] Das so gewonnene […] Destillat muß eine mehrjährige Faßlagerung durchmachen, wozu besonders gern alte Sherryfasser benutzt werden, die dem Whisky einen feinen Weintyp geben. […]erst die lange Faßlagerung, die vielfach auch in innen angekohlten Fässern erfolgt, machen den Whisky zu dem bevorzugten Branntwein.
Büttner: Branntweine, 570f.
Obwohl er die Herkunft des Whiskys in den englischsprachigen Ländern verortete, wohlgemerkt aber nicht nur Großbritannien, erhob er doch den Geschmack zum definitorischen Kriterium und leitet dies vom Raucharoma und der Fassreifung ab. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass er den amerikanischen Whiskey scheinbar gut kannte, wie aus seinen Ausführungen zu den Entwicklungen der Mash Bills vor und nach der Prohibition hervorgeht, der ohne Torf hergestellt wurde. Dennoch nahm der Rauch bei den Charakteristika von Whisky eine hervorgehobene Stellung ein. Dies wiederum spricht dafür, dass schottischer Whisky in Deutschland als maßgebend angesehen wurde (und dass dieser seinerzeit fast ausschließlich über Torf gedarrt wurde, jedenfalls soweit er Deutschland erreichte).
In Bezug auf die Fassreifung erwähnte Büttner allerdings noch seinen Kollegen Ernst Duntze, der versuchte, mit fassgereiftem Neutralalkohol Whisky zu simulieren. Dies wiederum sei keinesfalls als deutscher Whisky zu bezeichnen, insofern muss auch die Abkunft von Getreide eine Rolle gespielt haben.
Die deutschen Juristen verfolgten darüberhinaus das Geschehen im Ausland sehr genau. So stellte Professor Bames fest, dass in der Schweiz eine feine Unterscheidung vorgenommen wurde: „Kornbranntwein ist ein Destillat aus vergorener Maische von Körnerfrüchten; Whisky ist ein Destillat aus vergorener Maische von Körnerfrüchten (meist Gerste oder Mais); von Kornbranntwein unterscheidet sich Whisky durch besonderen Geschmack, der durch die Art, die Behandlung und die Verarbeitung der Rohstoffe bedingt ist“. Dies zeugt von einem Problembewusstsein, dass zwischen Korn und Whisky eine nahe Verwandtschaft bestand. Erneut begegnet uns jedoch der Geschmack als entscheidendes Kriterium.
Sicherlich ist dies die wichtigste rechtshistorische Entwicklung im Verständnis von Whisky in Deutschland vor 1945. Zwar stand eine letzte, höchstrichterliche Entscheidung aus, doch waren bereits alle Bausteine bereitgestellt, den Whiskybegriff rein geschmacklich zu definieren. Dies musste natürlich Konsequenzen für das haben, was als deutscher Whisky gehandelt wurde.
Fassgelagerter Korn und Whisky. Der Schatten von Versailles?
Noch während des Ersten Weltkrieges hatten deutsche Brennereien ihren fassgelagerten Korn als Whisky beworben. Diese Praxis endete einerseits, weil deutscher Whisky in der Folge ein Blend aus deutschem und schottischem Destillat verstanden wurde, andererseits weil Whisky zunehmend als Herkunftsbezeichnung verstanden wurde.
Vielleicht spielte der berühmt-berüchtigte Champagner-Paragraph des gleichsam berühmt-berüchtigten Vertrages von Versailles eine Rolle. Dort war es deutschen Firmen explizit verboten worden, Schaumwein unter dem Namen Champagner bzw. Weinbrand unter dem Namen Cognac zu vertreiben. Unter dem Kapitel „Unlauterer Wettbewerb“ geführt, sollte hier der Übermacht deutschen Kapitals in Verbindung mit guten Produkten Einhalt geboten werden. Die beiden hier diskutierten Prozesse fanden desgleichen beim Reichsgericht Eintrag in der Kategorie „unlauterer Wettbewerb“.
Wenn eine deutsche Brennerei keinen Weinbrand als Cognac bezeichnen darf, läge doch nichts näher, als dass eine deutsche Brennerei analog dazu keinen fassgelagerten Korn Whisky nennen dürfte. Tatsächlich gestattet der Versailler Vertrag diese Auslegung ohne Weiteres:
Deutschland verpflichtet sich […] die in einem alliierten oder assoziierten Lande geltenden […] Gesetze […] beobachten, wodurch das Recht auf eine Lagebezeichnung für die in dem betreffenden Lande erzeugten Weine oder geistigen Getränke bestimmt oder geregelt wird oder wodurch die Bedingungen bestimmt oder geregelt werden, an welche die Erlaubnis zum Gebrauch einer Lagebezeichnung geknüpft ist.
Vertrag von Versailles, Art. 275
Doch ein Hinweis darauf ist nicht ansatzweise auszumachen in den Urteilsbegründungen. Es ist gut denkbar, dass das Reichsgericht diesen Paragraphen zwar beachtete, aber nicht zitierte. Der Versailler Vertrag galt in Deutschland als unfair, wurde selbst in Großbritannien keineswegs einhellig begrüßt und nicht selten als kleinlich bewertet – eben wegen Inhalten wie des Chamapagner-Paragraphen, die ganz augenfällig französische Partikularinteressen zugutekamen. Ob eine Zitation desselben der Sache geholfen hätte, wenn nationale Gesetze ihn ohnehin achteten? Offenbar machten auch die britischen Klägerinnen und Beklagten keinen Gebrauch dieses naheliegenden Paragraphen.
Mit den Entwicklungen der 30er und der sich herauskristallisierenden Definition von Whisky per Geschmack, war der deutsche Korn mit seiner wesentlich gründlicheren Destillation, der anderen Maische und dem Mangel an Torf klar von schottischem Whisky zu scheiden. Heutzutage wäre das übrigens deutlich schwieriger, vor allem wenn das Fass dominant ist, doch dies ist eine andere Diskussion.
Deutscher Whisky mit schottischem Destillat? Die Kopie
Ein Blend aus deutschem Grain und schottischen Malt erscheint heutzutage geradezu skurril, war in der Weimarer Republik jedoch Gang und Gebe. Es folgt einer gewissen Logik, die viele Blends nach wie vor auszeichnet: teurer Malt Whisky als Hauptgeschmacksträger, günstiger Grain als allenfalls balancegebendes Füllmaterial.
Gerade wenn sich der Malt durch sein Raucharoma abhebt, ist es wirtschaftlich sinnvoll, nur diesen zu importieren und den Grain lokal zu beziehen. Schließlich operierten zehntausende Brennereien im Deutschen Reich, von denen etwa 2500 solchen Grain zu produzierten. Allein diese gewaltige Masse drückte den Preis.
Und wenn sich der Malt in diesem Blend geschmacklich durchsetzte, musste die Spirituose nach dem Urteil von 1936 Whisky sein, in Deutschland produziert dann eben deutscher Whisky. Dies deckt sich schon deswegen nicht mit unserem Verständnis, weil hier nicht einmal der Versuch unternommen wurde, eine genuine Spielart des Whiskys zu entwickeln. Stattdessen ging es um eine kostengünstige Kopie des Scotchs. Dafür spricht nicht zuletzt die Vermarktung mit schottischen Motiven und Bilder, englischen bzw. gälischen Namen – eine Unsitte, die bis heute nicht ausgestorben ist, aber eben in eine andere Zeit gehört. Tatsächlich war derlei Whisky in Bars und Hotels grundsätzlich nur dann gefragt, wenn der schottische aus oder zu teuer war.
Es ist sicherlich ein Glücksfall für den deutschen Whisky, dass dieser Irrweg nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen wurde und mit Red Fox, dem Vorgänger des Racke Rauchzart, nur noch eine blasse Erinnerung daran zurückbleibt.
Schluss: Eine zu Unrecht vergessene Episode der deutschen Whiskygeschichte
Die historische Zäsur von 1945 und der massiven Einfluss, den die anglo-amerikanische Kultur auf die Entwicklung Westdeutschlands nahm, veränderte den Entwicklungsverlauf des deutschen Whisky ganz erheblich – sehr wahrscheinlich zum Besseren. Dennoch schuf das Reichsgericht 1936 die Grundlage für ein Verständnis vom Whiskybegriff, dessen Abkehr von der Herkunftsbezeichnung bzw. Hinwendung zur Gattungsbezeichnung den deutschen Brennereien zweifelsfrei ermöglichte, deutschen Whisky herzustellen. Dieses Verständnis scheint allgemeinen Zuspruch gefunden zu haben.
Dass diese Episode der deutschen Whiskygeschichte in Vergessenheit geriet, liegt zuvorderst an der Machtübernahme der Nazis und der unrühmlichen Rolle der Justiz im Nationalsozialismus. Das Reichsgericht macht an dieser Stelle keine Ausnahme, im Gegenteil. Schon darum mag der Blick in seine Entscheidungen nicht unbedingt naheliegen, allzumal bei einem eigentlich so heiteren Thema wie Whisky. Vielleicht ist es jedoch genau diese unverfängliche Natur der Sache, die für uns einen Glücksfall darstellt. Das Reichsgericht hatte keine Not, hier nationalsozialistische Gesinnung zum Ausdruck zu bringen. (…zumal der bekennende Vegetarier und Abstinenzler in der Reichskanzlei sowieso keinen Sinn für die geistigen Genüsse hatte).
Wenn überhaupt offenbaren die in diesem Artikel beleuchteten Quellen, welche Tiefendimension die Geschichte des deutschen Whiskys hat. Wir beginnen kaum, an der Oberfläche zu kratzen.
Zitierte Quellen und Literatur:
- Bames, E.: Ausländische Gesetzgebung über alkoholische Genußmittel, in: Handbuch der Lebensmittelchemie 7: Alkoholische Genussmittel, hgg. v. Büttner u.a., Berlin 1938, 760-797
- Büttner, G.: Branntweine, in: Handbuch der Lebensmittelchemie 7: Alkoholische Genussmittel, hgg. v. Büttner u.a., Berlin 1938, 538-718
- Friedensvertrag von Versailles. Artikel 264 bis 312. Wirtschaftliche Bestimmungen (28. Juni 1919), in: documentArchiv.de (Hg.), von: http://www.documentArchiv.de/wr/vv10.html, Stand: 25.03.2023
- Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, Band 143, Berlin/Leipzig 1934
- Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, Band 151, Berlin/Leipzig 1936
- Holthöfer, H.: Deutsche Gesetzgebung über Branntwein, in: Lebensmittelchemie 7: Alkoholische Genussmittel, hgg. v. Büttner u.a., Berlin 1938, 719-759
[…] Praxis, obwohl in Großbritannien erfunden, die zum Leidwesen der Schotten in der Weimarer Republik perfektioniert wurde. Es ist tragisch, dass die Öffentlichkeit auf den Inseln kaum oder gar nicht in Berührung […]