Johnnie Walker, Ribbentrop und eine Agentin

Titelbild Ribbentrop Johnnie Walker

Ein Kuriosum, das zum Ende der Nazis hätte beitragen können

Vom Weinhändler zum Außenminister

„Der Fehler lag im System selbst, das es einer Erscheinung dieser Art ermöglichte, Außenminister zu werden und in dieser Eigenschaft einer Nation von 70 Millionen Menschen sieben Jahre lang zu dienen.“ – dieses Urteil über Joachim von Ribbentrop, gefällt von seinem Staatssekretär Ernst von Weizsäcker, steht stellvertretend für zahllose vernichtende Urteile. Ribbentrop sei arrogant, fachlich unfähig und intellektuell beschränkt gewesen, und damit ein Paradebeispiel für den Triumph von Beziehungen und Ideologie über die Sachkompetenz. 

Eines aber gestand ihm sogar ein großer Kritiker zu, Hermann Göring: Ribbentrop verstand etwas von Whisky.

Es begann 1919, als der 26-Jährige eine Weinhandlung eröffnete und in Berlin Otto Henkell kennenlernte, Inhaber der Henkell & Co. Sektkellerei. Ribbentrop heiratete alsbald dessen Tochter Annelies und war fortan mit Henkell geschäftlich wie privat engstens verbunden. 1924 löste er seine Beteiligung an Henkell und konzentrierte sich auf seine eigene Importfirma, die erfolgreich lief.

Ribbentrop kam zu Geld. Er umgab sich mit der Berliner Schickeria und legte sich einen Adelstitel zu, auf dessen Verwendung er großen Wert legte. Auch wenn er in den 20ern viele Kontakte knüpfe, politisch engagierte er sich nicht. Erst 1932 suchte er die Nähe zu Hitler, der seinerseits den Nutzen von Ribbentrops Netzwerk erkannte. Außenminister wurde Ribbentrop 1933 nicht, anders als erhofft, denn besonders die sogenannten „alten Kämpfer“ unter den Nazis sahen in ihm einen Opportunisten und Emporkömmling. Doch wie in Diktaturen üblich, wurden ihm immer wieder besondere außenpolitische Kompetenzen und Aufträge gegeben, um in direkte Konkurrenz zur eigentlichen staatlichen Stelle zu treten, dem Außenministerium. Dieses übernahm er schließlich 1938.

Joachim von Ribbentrop als Außenminister
Joachim von Ribbentrop, 1938

Johnnie Walker in Deutschland

Sir Alexander Walker war ein Vertriebsgenie. So nutzte er die Prohibition geschickt aus, indem er ganze Schiffladungen von Whisky an verlassene kanadische Inseln schickte, die dann ihren Weg in die USA fanden. Johnnie Walker etablierte sich dadurch schnell in der neuen Welt, nicht zuletzt weil die bis dato dominanten irischen Brennereien ob ihres Bürgerkrieges weniger Whiskey liefern konnten.

Auch Deutschland hatte er bereits als aufstrebenden Markt erkannt, kaum dass die Tinte des Versailler Vertrages trocknen konnte. Er versorgte zielgerichtet das Hotel Adlon, einen der Hotspots des kosmopolitischen Berlins der Weimarer Republik (welches die Nazis verabscheuten). Obzwar der Whisky nur eine urbane, weltoffene Oberschicht zu gewinnen vermochte – eine, die weitgehend blind war für die sozialen Gefälle der Republik und sich lieber bereicherte und berauschte, statt diese Gefälle ernsthaft anzugehen – ließ sich hier Geld machen. Und wo sich Geld machen ließ, war Ribbentrop nicht weit. Noch 1919 sah er seine Chance.

Ein wilder Flug zu Alexander Walker

Ribbentrop in seiner Bewunderung für den europäischen Adel hatte ganz sicher bemerkt, welche Rolle der Whisky inzwischen in der britischen High Society spielte. Vielleicht hatte er schon als Jugendlicher in Kanada erste Erfahrungen gemacht.

Jedenfalls bemühte er sich um die Vertriebsrechte für Johnnie Walker in Deutschland. Dazu gibt es eine erstaunliche Anekdote: Ribbentrop erfuhr, dass zwei Konkurrenten bereits mit der Bahn auf dem Weg waren, sodass er sich prompt ein altes Weltkriegs-Flugzeug charterte, es zu den Walkers fliegen und direkt auf dem Rasen des Anwesens in Kilmarnock landen ließ. „You are my man“, sagte der beeindruckte Alexander Walker.

Sir Alexander Walker II
Alexander Walker II (1869-1950)

Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte indes ist schwer zu ermitteln. Ribbentrop erwähnt sie in seinen eigenen Erinnerungen nicht. Sie stammt offenbar aus seinem unmittelbaren Umfeld, taucht jedenfalls zuerst in den Memoiren seines Persönlichen Referenten auf, Reinhard Spitzy. Und das relativ spät, also in den 80ern. Mehr noch, mit jeder Neuerzählung in populärwissenschaftlichen Werken erfährt sie Ausschmückungen, bis hin zu Albernheiten wie dass Ribbentrop gar selbst der Pilot gewesen sei.

Gesichert ist, dass Ribbentrop dank seiner Liebschaft Annelies Henkell die nötigen Beziehungen hatte und solche Initiative zeigte, um mit Alexander Walker in direkten Kontakt zu treten und diesem zu imponieren. Die beiden wurden Freunde, tranken gern Whisky zusammen und während seiner Zeit als Botschafter in London besuchte Ribbentrop Walker oft – auch mit dem Flugzeug, was eventuell den Hintergrund bzw. Nukleus für obige Erzählung bildet.

Eine Agentin in Berlin

Alexander Walker war nicht nur ein Vertriebsgenie, er war ein Bewunderer Hitlers. Insofern hat ihn vermutlich gefreut, dass sein Vertreter in Deutschland in den engsten Zirkel der Nazis aufgenommen wurde. Ribbentrop wiederum wurde sein schneller politischer Aufstieg erst durch seine Vernetzung und seinen Reichtum ermöglicht, den er nicht zuletzt Johnnie Walker verdankte.

Als daher 1935 eine schottische Vertreterin von Johnnie Walker in Berlin auftauchte, hatte sie keine Probleme, mit Hilfe Ribbentrops in eben jenen Zirkel der Naziführung einzutauchen.

Vera Atkins
Vera Atkins, 1946

In Wirklichkeit war sie eine Agentin für Großbritannien: Vera Atkins. Der Widerstandskämpfer Friedrich-Werner von der Schulenburg und der kanadische Geheimdienstler William Stephenson hatten Adkins’ Reise sorgfältig geplant. Sie sollte Informationen über die Lage in Deutschland sammeln und die Gefahren, die durch Hitler drohten, aufklären. Sie berichtete von den dunklen Seiten des neuen Deutschlands unter den Nazis, identifizierte die zukünftigen Architekten des Holocausts und warnte eindringlich vor der ungezügelten Gewaltbereitschaft und dem mörderischen Antisemitismus.

Ihre Warnungen verhallten.

Alexander Walker und Joachim von Ribbentrop. Über den Tod hinaus

Nach dem 2. Weltkrieg versuchte Ribbentrop erfolglos unterzutauchen und wurde in Nürnberg als Hauptkriegsverbrecher angeklagt. In allen Anklagepunkten für schuldig erklärt, starb er 1946 durch den Strang.

Dem Tod hatte er bemerkenswert stoisch entgegen gesehen, jede Schuld geleugnet und unter anderem einen Brief an seinen alten Freund geschrieben, Alexander Walker. Ribbentrop bat um einen Arbeitsplatz bei Johnnie Walker für seinen Sohn Rudolf. Allerdings war Alexander seit 1939 nicht mehr Geschäftsführer und die Geschäftsstelle, an die sich Ribbentrop wandte, hatten deutsche Bomber längst zerstört. …als hätte die Geschichte Sinn für Ironie.

Rudolf von Ribbentrop
Rudolf von Ribbentrop

Rudolf von Ribbentrop derweil befand sich in französischer Kriegsgefangenschaft und benötigte einen Anwalt für seine Gerichtsverhandlung. Dieser wollte jedoch 100 Pfund in Bar haben und dieses Geld hatten inzwischen weder Rudolf Ribbentrop noch seine Mutter. Da schickte Alexander Walker die 100 Pfund, verzichtete außerdem ausdrücklich auf eine Rückzahlung.

Die Versuche der Ribbentrops, wieder bei Henkell einzusteigen, arteten in zähe Gerichtsverhandlungen aus. Stattdessen ging Rudolf später ins Bankwesen. Und damit endete die Geschichte des Whiskyvertriebs durch die Familie Ribbentrop.

Erinnerungslücken

Alexander Walkers politische Ansichten, seine Verbindungen zu Vereinigungen wie dem antisemitischen Right Club und seine Spenden an eben diese sind nur lückenhaft untersucht – und noch weniger der Öffentlichkeit bekannt. Wenn überhaupt hat Johnnie Walker einen guten Leumund für diese Zeit, war doch der Lieblingswhisky Winston Churchills kein anderer als der Black Label.

Dass Ribbentrop und Walker zusammenfanden, war jedoch nicht das Ergebnis politischer Ansichten. In der Retrospektive wirkt ihre Freundschaft geradezu sinister, in den frühen 20ern hingegen waren sie lediglich zwei Geschäftsleute mit außergewöhnlichem Elan. Diese Beziehung machte es Vera Atkins leicht, in den 30ern Berlin zu infiltrieren, sodass sie zu einem schnelleren Ende der Nazis hätte beitragen können. Am Ende sollte es nicht sein. Für Johnnie Walker endete die Beziehung schadlos. Das Unternehmen hatte dank Ribbentrop und seines Vertriebes vielleicht sogar eine vorteilhafte Startposition, als internationale Whiskymarken im Nachkriegsdeutschland um Kunden buhlten.

Dies zeigt, dass Geschichte eben nicht gradlinig oder vorhersehbar ist. Es zeigt auch die Verankerung von Whisky bis in die kleinsten Aspekte der Kultur, Wirtschaft und Politik des 20. Jahrhunderts.

Ausgewählte Literatur:

  • Bloch, Michael: Ribbentrop, London 1992
  • Giles MacDonough: Walking Tall, in: Cigar Aficionado 4.1996
  • von Ribbentrop, Joachim: Zwischen London und Moskau. Erinnerungen und letzte Aufzeichnungen, Leoni am Starnberger See 1954
  • von Ribbentrop, Rudolf: Mein Vater Joachim von Ribbentrop. Erlebnisse und Erinnerungen, Graz 20122
  • Spitzy, Reinhard: So haben wir das Reich verspielt. Bekenntnisse eines Illegalen, München/Wien 1986
  • Stephenson, William: Spymistress, New York 2007
  • Tusa, Ann / Tusa, John: The Nuremberg Trials, New York 1984
  • Weitz, John: Hitler’s Diplomat. The Life and Times of Joachim von Ribbentrop, New York 1992

2 Comments

  • Flurb Xray 14. März 2023 at 10:36 Reply

    Spannende Geschichte. Vielen Dank für die Aufarbeitung dieser kleinen aber eben doch hoch interessanten Fußnote der Geschichte.

  • Deutscher Whisky vor dem Reichsgericht - DoktorWhisky.de 26. März 2023 at 0:05 Reply

    […] alsbald kontrovers diskutiert wurde. Nicht zuletzt die deutschen Importeure von Scotch, darunter Joachim von Ribbentrop, waren alles andere als begeistert. Immerhin kostete echter schottischer Whisky aufgrund der höhen […]

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