Whisky Inside
Die Collector’s Edition
„Die Welt braucht kein weiteres Whisky-Buch“ (?)
Der Barkeeper Charles Schumann soll dies gesagt haben und angesichts der Sättigung des Marktes mag er damit vielleicht sogar Recht haben. Die Auswahl jedenfalls ist groß. Allerdings gab er den Machern von Whisky Inside ein Interview, das als Highlight des Buches angeführt wird – und als Beleg, dass ihn das Konzept überzeugt hat.
Doch was ist das Konzept und wer steckt dahinter? Victor Hochheiden und Tom Channir sind bemerkenswerterweise über den Genuss von Gin zum Whisky gekommen. Gin Inside ist dann auch der erste von ihnen verlegte Titel im 2018 gegründeten VT-Verlag. 2021 legten sie nach und stellten den Whisky in den Mittelpunkt.
Dabei folgt der Band einem relativ konventionellen Aufbau: die Erläuterung von Begriffen und Herstellungsprozessen bildet die Einleitung, der eine Reihe Portraits von Whiskys aus aller Welt folgt. Die Würdigung so vieler deutscher Brennereien gleich am Anfang freut uns besonders; überhaupt erfahren einige weniger bekannte Marken Aufmerksamkeit, was im Printbereich jenseits der Fachmagazine selten ist. Nach den Whiskyportraits sind Gastbeiträge eingeschoben, die Whisky aus verschiedenen Perspektiven beleuchten, vom Barmann bis zum Arzt. Das Finale ist dann Rezepten zum Mixen, Backen und Kochen überlassen.
Die Umsetzung: aus einem Guss, mit Exoten-Bonus
as Konzept wird mithilfe eines extrem stilsicheren Designs umgesetzt. Alles in diesem mächtigen Buch wirkt wie aus einem Guss, Bild und Text harmonieren blendend; alle Bilder sind so gewählt oder bearbeitet, dass sie sich nahtlos einfügen, sogar Texthervorhebungen folgen der stringenten Designsprache. Ohne Zweifel hat sich jemand viele Gedanken darüber gemacht, wie die Informationen präsentiert werden sollen.
Das Bild hat fast immer die Überhand, dem Text wird weniger Raum gegeben. Das ist kein Malus, im Gegenteil ist dies die logische Konsequenz des gewählten Großformates. Kurz und knapp werden besonders bei der Vorstellung der Brennereien die Kerncharakteristika und Tasting Notes abgehandelt.
Noch einmal sei positiv die getroffene Auswahl hervorgehoben. Neben Klassikern wie Maker’s Mark, Jameson oder Aberlour finden sich zahlreiche Exoten wie der bayerische Stonewood Woaz, der schweizerische Seven Seals oder tschechische Old Hunter. Sie sind sogar in der Überzahl. Auch wir, die wir erklärte Liebhaber und Erkunder exotischen Whiskys sind, haben ein paar uns unbekannte Perlen entdecken können. Gerade wer bislang eher dem Pantheon klassischer Scotch Single Malts huldigt, wird hier eine berauschende Entdeckungsreise durch die vielfältige und bunte Welt des Whiskys machen können. Dafür ein Riesenlob!
Eine Schattenscheite hat dies allerdings: den Texten fehlt es samt und sonders an kritischer Distanz. Bei aller Begeisterung für den heimischen Whisky: es fällt schwer, in ‚Thousand Mountains‘ ‚McRaven‘ etwa einen „durch und durch authentische[n] Namen“ für deutschen Whisky sehen zu wollen. (Wenigstens ist es kein Pseudo-Gälisch…). Und ob der Lübbehusen die „Charakteristika der Region“ im Norden Niedersachsens widerspiegelt, wenn Torf aus Schottland verwendet wird, darf desgleichen Gegenstand von Debatten sein. Ich als Autor hätte mir an solchen Stellen die ein oder andere Spitze kaum verkneifen können.
Exkurs: bitte keine Whisky-Geschichte mehr ohne Historiker
Vermutlich stört das folgende nicht allzu viele Leser, doch da die Mehrung von Wissen explizit zum Auftrag des Historikers gehört, lohnt es an dieser Stelle einen weiteren Kritikpunkt näher auszuführen: die geschichtlichen Darstellungen. Die finden sich vor allem an zwei Stellen, in der Einleitung und im Gastbeitrag von Dr. med. Rudolf Goller. Sie sind haarsträubend.
„Nachgewiesen ist auch, dass ab dem 4. Jahrhundert in irischen Klöstern Alkohol aus Getreide destilliert wurde“, heißt es etwa. Das ist reine Fiktion – wie die gesamte Erzählung um spätantike Destillation in iro-schottisch-walischen Klöstern auch. Die Destillation von Drinkalkohol durch arabische Gelehrte gegen Ende des Frühmittelalters und zu Beginn des Hochmittelalters wiederum, die an anderer Stelle insinuiert wird, ist nicht sicher belegbar. Der erste unumstößliche Beleg stammt vom Magister Salernus, also aus dem 12. Jahrhundert.
Leider tun sich Althistoriker und Mediävisten mit Schwerpunkt Spätantike/Frühmittelalter immer noch schwer daran, ihre Ergebnisse zu popularisieren (Professor Roland Steinacher ist hier die Ausnahme) und das betrifft nicht nur das Nischenthema Whisky. Es ist daher für interessierte Fans schwer zu recherchieren. Allerdings findet sich entsprechende Fachliteratur, wenn man nach ihr zu suchen weiß oder eben einen Historiker fragt, der sich damit auskennt.
Das Highlight: die Expertenbeiträge
Im Grunde jedoch sind die Texte der Gastautoren eindeutig der interessanteste Teil des Buches. Hierbei wird klar, wie sehr die Etablierung vor allem neuer Whiskymarken in Deutschland an der Barszene hängt. Das macht etwa die Geschichte von des finnischen Rye Whiskys Kyrö deutlich, die Max erzählt, aber auch das eingangs erwähnte Interview mit Charles Schumann. Freilich fehlen die obligatorischen Abhandlungen zu Tastings und Whisky als Geldanlage nicht.
Der gehaltvollste Beitrag stammt von Jan Forsberg, Markenbotschafter für Maker’s Mark in Deutschland. Er erläutert im Detail welchen Einfluss das Holz auf welche Weise auf den Reifungsprozess und die Geschmacksentwicklung des Whiskys nimmt. Mit ein wenig Chemie und Mathematik führt er den Leser anhand von Maker’s Mark durch die zu beachteten Variablen.
So macht der gesamte Whisky Insider-Abschnitt Lust auf Mehr. Ein echter Sammelband mit Beiträgen zu verschiedenen Themen aus der Whiskywelt wäre sicherlich eine Überlegung wert.
Fazit: ein Prachtband
Die edle Optik, die klare Designsprache und hochwertige Verarbeitung sprechen klar für den Charakter als Prachtband. Dennoch gibt es viel zu entdecken. Seien es exotische Whiskys oder spezifische Fachinformationen und Szeneeinblicke, nahezu jeder Leser kann etwas neues erfahren.
Etwas mehr kritische Nachfrage hätte ich mir gewünscht, doch dies ist neben der Reproduktion ahistorischer Mythen der einzige Makel. Andererseits ist der Band eine Liebeserklärung an den Whisky, kein investigatives Sachbuch. Am Ende zählt in diesem Format die Story mehr als die Geschichte. Wie Charles Schumann sagt:
„Bottom line is there is a story – always.“
Das Buch wurde uns von VT freundlicherweise als Rezensionsexemplar zugesandt. Vielen Dank dafür.
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