Zeppeline, Bomben und Whisky
Luftangriffe auf Fasslager im Ersten Weltkrieg durch deutsche Zeppeline
Einige notwendige Vorbemerkungen (III)
Wir haben in den ersten zwei Teilen dieser Serie die Angriffe der Luftwaffe 1940/41 auf Schottland und Irland untersucht, bei denen Brennereien oder Lagerhäuser zerstört wurden. Der nunmehr dritte Teil führt in den Ersten Weltkrieg. Erfreulicherweise ist dies das kürzeste Kapitel und doch gelten dieselben Vorbemerkungen.
Im Rahmen unseres erkenntnisleitenden Interesses fokussieren wir uns auf die unbekannten Seiten der Geschichte des Whiskys, auch vor einem historischen Hintergrund, der nach wie vor Gegenstand lebhafter Debatten ist. Gerade deswegen sei auf die Fachleute verwiesen, die sich dezidiert mit dem strategischen Luftkrieg auseinandersetzen. Dies können wir hier nur soweit tun, wie es der Klärung unserer Fragen dient.
Der erste moderne Krieg. Angriffsziel Brennerei?
Noch als im Sommer 1914 Freiwillige singend ins Maschinengewehrfeuer stürmten, ahnten nur wenige das wahre Ausmaß der Schrecken moderner Technologie im Krieg – und darüber hinaus. Obwohl schon früher Bomben aus der Luft auf Städte geworfen wurden, blieben diese Fälle reine Kuriositäten. Im Weltkrieg sollte sich dies ändern.
Flugzeuge erreichten erst gegen Ende des Krieges die Reife, weit entfernte Ziele anfliegen und angreifen zu können. Deutschland aber verfügte über Zeppeline. Diese Luftschiffe waren in der Lage, die Nordsee zu überqueren und eine kleine Bombenlast mit sich zu führen. Ziel- und Abwurfmechanismen waren naturgemäß ganz am Anfang und kaum eine Bombe traf. Die von Kaiser Wilhelm verordnete Beschränkung auf militärische Ziele war damit in der Praxis kaum umsetzbar, allzumal bei Nacht. Und nachts, im Schutze der Dunkelheit, wurden die Angriffe durchgeführt.

Also befanden sich Brennereien und Fasslager eben nicht im Visier der deutschen Luftschiffer, doch so nah an deren eigentlichen Zielen, dass die fast unvermeidlichen Fehlwürfe sie gefährdeten. Wie noch im Zweiten Weltkrieg war Whisky für Schottland (und Irland) ein wichtiger Industriezweig mit bestem Anschluss an lokale Infrastruktur, wie z.B. Häfen, die nun durch Zeppeline bedroht wurde. Anders als im Zweiten Weltkrieg jedoch stellten die Brennereien nicht auf die Produktion von Industriealkohol oder anderen kriegswichtigen Gütern um. Allerdings mussten sie ebenfalls ihre Produktion reduzieren bzw. einstellen, als eine andere neue Waffe erstmalig ihre Wirkung demonstrierte: das U-Boot jagte Versorgungsschiffe und begrenzte die Zufuhr von Gerste nach Großbritannien. Dies sei aber Gegenstand eines anderen Artikels.
London: Glück für Johnnie Walker
Bei Sonnenuntergang des 31. Mais 1915 hob das Luftschiff LZ 38 des deutschen Reichsheeres ab, um unter dem Befehl von Erich Linnarz die britische Hauptstadt zu bombardieren. Der Kaiser hatte lange gezögert, doch der Druck von Heer und Marine war zu groß geworden. Linnarz war ein geübter Englandfahrer und sein LZ 38 vom neuesten Typ P. Ziel waren der Hafen, sämtliche militärischen Einrichtungen und Ölspeicher. Kurz vor Mitternacht erreichte LZ 38 die Stadt und begann mit dem Bombardement.

Eine Sprengbombe detonierte bei John Walker & Sons in Whitechapel. Fälschlicherweise ist manchmal zu lesen, hier sei eine „(whisky) distillery“ getroffen worden. Korrekt ist, dass Johnnie Walker hier die Einrichtungen der alten St. George-Brauerei nutzte. 1914 dienten sie als Fasslager und Abfüllanlage. Insofern fühlen wir Erleichterung darüber, dass Linnarz’ Bombe in einen Kühltank voller Wasser fiel. Dementsprechend erzielte sie keinerlei Wirkung; desgleichen ging von drei in der Nähe abgeworfenen Brandbomben keine Gefahr aus.
Der erste Luftangriff auf London ist damit zugleich der erste dokumentierte Luftangriff auf die Whiskyindustrie. Es traf sogleich einen ihrer Giganten. Durch Zufall – und anders ist es nicht zu nennen, wenn eine leichte Freifallbombe bei Dunkelheit ohne nennenswerte Zielvorrichtung aus über 3000m niedergeht – überstand Johnnie Walker dies schadlos.
Überhaupt blieben die Zerstörungen in London gering. 1300 Kilogramm Bomben töteten sieben Menschen und richteten einen Sachschaden von rund 19.000 Pfund an. Die psychologische Wirkung hingegen war enorm, zumal die Londoner Luftverteidigung aus allen Rohren gefeuert und 15 Abfangjäger gestartet hatte, ohne LZ 38 auch nur ansatzweise zu aufzuhalten.
Edinburgh: Das Ende von Innes und Grieve
Erst im Laufe des Jahres 1916 sollte es den Briten gelingen, Zeppeline wirksam zu bekämpfen. Bis dahin unternahm vor allem die Marine immer waghalsigere Angriffe. Unter dem Eindruck des Grabenkrieges wollte sie beweisen, dass ihre Opferbereitschaft der des Heeres um nichts nachstand. Am frühen Abend des 1. April startete Luftschiff L 14 unter dem Kommando von Alois Böcker, um die erste schottische Stadt anzugreifen: Edinburgh.

Allein die navigatorischen Hervorforderungen eines so langen Anfluges quer über die Nordsee waren enorm. Mit einem Angriff durch Luftschiffe rechneten wenige, sodass die Luftabwehr nachrangig erschien. Und doch erreichte Böcker die Stadt um Mitternacht, hatte dort aber ein ganz anderes Problem. Geblendet durch einen Suchscheinwerfer, fand er seine Ziele zunächst nicht und entschied er sich zum Angriff auf die Docks von Leith.
In unmittelbarer Nähe derselben befand sich das Hauptlagerhaus von Innes & Grieve, das einen direkten Sprengbombentreffer erlitt. Der gesamte Whisky verbrannte. Vermutlich war es vor allem dieser Brand, den Böcker in seinen Berichten nannte. Der Schaden belief sich auf 44.000 Pfund. Ob der nächtlichen Zeit jedoch befand sich kein Mensch im Lager, als es niederbrannte. Wie auch bei anderen Lagerhausbränden der Vergangenheit zögerten die Anwohner nicht:
„[…] sie haben uns verfehlt, landeten aber einen perfekten Treffer auf das Fasslager in Leith. Schon bald rann die kostbare Flüssigkeit die Straßen herab. Jerrys Bombe erschuf beinahe eine Szene aus Dantes Inferno. Männer, Frauen und Kinder sprinteten los und füllten Flaschen und Krüge.“
Erinnerungen des Whiskyhändlers James Piper
Die Flammen am Lagerhaus selbst waren so intensiv, dass Glas schmolz und das Gebäude bis auf die Grundmauern abbrannte. Der erste Angriff auf eine schottische Stadt aus der Luft endete also direkt mit der Zerstörung eines Lagerhauses voller Whisky. Die Zeit der Zeppelin-Bombardements neigte sich aber dem Ende zu und weitere Verluste von Whisky sind nicht zu verzeichnen.

Die Folgen für Innes & Grieve indes waren verheerend. Ihr Uam Var Whisky galt Ende des 19. Jahrhunderts noch ein ernstzunehmender Konkurrent von Johnnie Walker. Sie stürzten dann jedoch wie so viele andere Whiskyunternehmen um die Jahrhundertwende in die Krise. Die Zerstörung ihres Hauptlagers verschärfte die Lage dramatisch, zumal es gegen Luftangriffe nicht versichert war – wer hatte schon eine Versicherung gegen Zeppeline? Bedenkt man, dass der Sachschaden in Schottland infolge von Luftangriffen sich auf 126.000 Pfund insgesamt belief, wird die Dimension Verluste bei Innes & Grieve deutlich. Es ist spekuliert worden, dass diese Verluste letztlich den Untergang von Innes & Grieve herbeiführten. Sie wurden 1937 von Drambuie gekauft.
Eine Fußnote in der Geschichte des Whiskys und des Luftkriegs
Zunächst liegt nahe, die Attacken der Zeppeline als unbedeutend für die Geschichte des Whiskys abzutun. Dies gilt umso mehr im Vergleich mit den Bombardements der Luftwaffe 1940/41. Letztlich führten die Zeppeline zum Erlöschen höchstens einer Marke bzw. beschleunigten diesen Prozess. Wahrscheinlich hätte sogar John Walker & Sons einen weniger glücklichen Landepunkt der Bombe überstanden, da ihr Unternehmen finanziell sehr stabil war. Die direkten Auswirkungen der Luftangriffe im Ersten Weltkrieg auf die Whiskyindustrie waren daher minimal.

Eine derart verengte Perspektive verschließt sich aber dem Erkenntnisgewinn in anderen Aspekten. Bei den jeweils ersten Angriffen auf London und Edinburgh wurden sofort Fasslager mit Bomben belegt. Das ist mehr als nur Zufall. Vielmehr illustriert dieser Umstand, wie direkt die für die Whiskyproduktion nötigen Anlagen an die übrige Industrie und Infrastruktur des Landes angeschlossen waren. Das galt zwar auch für die Brennereien, die weitab von Ballungszentren lagen, doch um einiges mehr für diejenigen in den Städten. Die städtischen Brennereien in den Lowlands waren durch die Nähe zur Schwerindustrie und Docks ungleich stärker in Gefahr und doch ebenso verwundbar. Und leicht verwundbar waren sie alle. Schon von Beginn führten Zeppeline Brandmittel mit, die dann später von der Luftwaffe weiterentwickelt wurden. Sie fanden im Whisky ein leicht entflammbares Ziel. Die besonders hellen Brände von Fasslagern wiederum erleichterten die Zielfindung der Angreifer in der Luft.
All dies zeigte sich in Frühformen bereits 1915/16, nur zog niemand daraus eine Lehre. 1941 dann trafen deutsche Bomben Brennereien, sie gingen in Flammen auf und nachfolgende Kampfflieger orientierten sich an ebendiesen Flammen für weitere Abwürfe. Fairerweise sei darauf verwiesen, dass es gewaltige Umstrukturierung der schottischen Wirtschaft erfordert hätte, um diese Verwundbarkeit abzumildern. Und das wäre nach dem sehr kostspieligen Krieg kaum möglich gewesen. Außerdem hatte die Luftwaffe ebenso wenig erkannt, welch lohnendes Ziel Brennereien waren. Keine einzige der Zielstammkarten von 1940/41, die akkurat bis ins Detail die Städte beschrieben, nannte die Destillen oder Fasslager. Zum Glück. Die Brennereien der Lowlands wären wohl ausradiert, die schottischen Städte noch besser beleuchtet und getroffen worden.
Noch glücklicher macht aber, dass Luftwaffe und Royal Air Force nunmehr ungleich länger Seite an Seite stehen als sie jemals Feinde waren. Darauf darf gern ein Whisky getrunken werden.

Ausgewählte Literatur:
- Lieser, Paul: Bombardements durch deutsche Luftschiffe im Ersten Weltkrieg, München 2013.
- Reid, Alan: Zeppelins over Edinburgh. Truths and Myths of the First Bombing Raid on Scotland, in: Stand To. The Journal of the Western Front Association 108 (2017), 4-9.
- Robinson, Douglas: The Zeppelin in Combat. A History of the German Naval Airship Division, London 1971.
- Storey, Neil: Zeppelin Blitz. The German Air Raids on Great Britain during the First World War, Strout 2015.
- Voigt, Immanuel: Stars des Krieges. Eine biografische und erinnerungskulturelle Studie zu den deutschen Luftstreitkräften des Ersten Weltkrieges, Berlin 2019.
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