Deutsche Luftwaffe und irischer Whiskey

Angriffe der Luftwaffe auf irische Lagerhäuser 1941

Einige notwendige Vorbemerkungen (II)

Hier folgt die Fortsetzung unseres Artikels zu den deutschen Luftangriffen auf schottische Brennereien im Zweiten Weltkrieg. Das Interesse an dieser Abhandlung war groß, auch Spiegel Online nutzte unsere Recherchen offensichtlich sehr intensiv. Das Thema ist vor allem deswegen bedeutsam, weil es einen bislang übersehenen Aspekt im Niedergang der Lowland-Brennereien darstellt.

Fast automatisch stellt sich die Frage, ob die Luftwaffe einen ähnlich negativen Einfluss auf die Entwicklung des irischen Whiskys nahm. Dies soll unsere Leitfrage sein. Wie auch im Falle der Angriffe auf Schottland soll nicht anderweitig über diese Bombardements gewertet werden. Moralische, rechtliche und strategische Aspekte werden bis heute ausgiebig von Historikern diskutiert und verdienen eigene Beachtung.

Angriffsziel Irland, Angriffsziel Whiskey?

Als sich das Vereinigte Königreich am 3. September 1939 dem deutschen Angriffskrieg entgegenstellte, war die irische Insel zerrissen – nahezu wortwörtlich. Der Norden Irlands war nach dem Unabhängigkeitskrieg 1921 ein Teil des Königreichs verblieben, während der Rest des Landes von Großbritannien gelöst in der Republik Irland aufgehen sollte. Die noch lange andauernden Spannungen zwischen Republikanern und Loyalisten eskalierten immer wieder. Der Zweite Weltkrieg vertiefte die Gräben nur, da der Norden mit dem Königreich in die Schlacht zog, die Republik hingegen neutral blieb.

Die deutsche Luftwaffe hatte auf der irischen Insel ausschließlich Belfast anvisiert, die Hauptstadt Nordirlands. Diese war ein gewaltiges Rüstungszentrum. Die Harland & Wolff-Werft etwa, in der die Titanic hergestellt wurde, baute oder modernisierte tausende Schiffe für die Royal Navy während des Krieges, reparierte zehntausende. Außerdem beheimatete Belfast Fabriken für schwere Bomber und Seeflugzeuge, Kampfpanzer, Geschütze und Munition.

Ebenso wie in Schottland stellten die Whiskybrennereien Irlands größtenteils den Betrieb ein oder auf militärische Belange um. Da enden jedoch die Gemeinsamkeiten. Einst eine feste Größe im nationalen wie internationalen Handel, war der irische Whisky von den Märkten außerhalb Irlands fast verschwunden. Der Osteraufstand 1916, der Unabhängigkeitskrieg 1919-1921 und der Bürgerkrieg 1922-23 hatten das Land wirtschaftlich ohnehin zerrüttet, als durch die Prohibition in den USA und exorbitante Zölle in Großbritannien (auch für nordirische Produkte) die beiden wichtigsten Exportmärkte ersatzlos wegbrachen.

Dies führte zur reihenweisen Schließung irischer Brennereien und selbst das Ende der Prohibition brachte kaum Erleichterung. Schottischer Whisky hatte heimlich die USA erobert. Als etwa Joe Kennedy, Vater des späteren US-Präsidenten John F. Kennedy und irischer Abstammung, während der Prohibition Verhandlungen über eine mögliche Wiedereinfuhr von Whisky führte, lehnten die irischen Brennereien einfach ab, die schottischen nicht. Schotten schmuggelten derweil beträchtliche Mengen Whiskys in die Staaten, die Iren nicht. Ab einem gewissen Punkt scheinen die Iren einfach aufgegeben zu haben. 1936 schloss die letzte Brennerei in Belfast, Dunville, obwohl diese noch profitabel war.

Eine aktive Brennerei gab es in Belfast demnach nicht mehr. Die Stadt blieb für Whiskey dennoch wichtig, denn ob ihrer infrastrukturellen Anbindung hatten viele Firmen neben ihrem Hauptsitz auch Lager und Zollspeicher dort. Das betrifft auch die drei Destillerien, die noch im Betrieb waren als der Krieg begann, allesamt eher klein: Upper Comber, Coleraine und Old Bushmills. Letztere schöpfte dank erster Exporte in die USA nach der Prohibition etwas Hoffnung, trotz knapper Bestände.

Dann kam die Luftwaffe.

Luftwaffe He 111 mit X-Gerät, KGr 100
Eine zur Zielfindung modifizierte Heinkel 111 der Kampfgruppe 100, zu sehen die typischen Antennen für das Funkleitstrahlsystem (Sammlung Peter Walter)

Die Angriffe auf Belfast

Für die Luftwaffe waren die drei 1941 auf Belfast geflogenen Angriffe Teil einer Kampagne, um das Vereinigte Königreich wirtschaftlich und moralisch zu brechen. Wie auch die größeren Angriffe auf schottische Städte oblag die Ausführung hauptsächlich den Kampfgeschwadern der Luftflotte 3 „West“.

Am Abend des 7. April 1941 hatte die Luftwaffe über 500 Bomber gegen mehrere Städte in Großbritannien gesandt. Belfast war dabei lediglich ein sekundäres Ziel, falls das primäre Ziel nicht gefunden werden konnte, sodass nur einzelne Bomber und Kleinstgruppen die Stadt in größeren Intervallen bombardierten. Dabei bemerkten die deutschen Piloten die Schwäche der Belfaster Luftverteidigung. Ein konzentrierter Angriff wurde prompt geplant.

In der Nacht vom 15. zum 16. April erreichten 118 Bomber der Luftflotte 3 und vermutlich rund 40 Bomber der Luftflotte 2 die Stadt. Es waren deutlich mehr gestartet, doch wichen viele auf Sekundärziele aus. Über Belfast hangen dichte Wolken und die Piloten hatten strikte Weisung, nur bei absolut sicherer Identifikation zuzuschlagen. Unter den ersten waren wie so oft die Pfadfinder der Kampfgruppe 100 (s. Anhang). Sie warfen Brandbomben auf den Hafenbereich zur Zielbeleuchtung. Weitere Angriffswellen folgten. Das südlichste Ziel war die Hafenkommandantur, Nr. 10 auf der Zielstammkarte (s.u.).

Und genau auf der anderen Straßenseite befanden sich die Lager und Verwaltungszentrale von Mitchell & Co, in der Corporation Street und Tomb Street. Nur wenig südlich davon, in der Hill Street und Gordon Street, standen die Lager und Verwaltungszentrale von Bushmills.

Die unmittelbaren Folgen des Angriffs

Aufgrund der dichten Wolkendecke orientierten sich die den Pfadfindern folgenden Bomber an den bereits bestehenden Bränden und Leuchtfeuern. Dies führte zu vielen Abwürfen auf den westlichen Teil des Hafens und die daran anschließenden Wohnanlagen.

Die Lagerhäuser von Bushmills und Mitchell & Co gingen in Flammen auf. Für Bushmills ist überliefert, dass das Feuer Stahlträger verbog und das Gebäude noch über eine Woche lang glomm.  Es ist durchaus möglich, dass die besonders intensiven Brände dieser Whiskylager von anfliegenden Bombern als Zielmarke wahrgenommen wurden. Dies war im vorangehenden Monat beim Angriff auf Clydebank der Fall gewesen, als Auchentoshan und Yoker getroffen wurden. Allerdings dürften sie den meisten Kampffliegern über Belfast ob der schlechten Sichtverhältnisse nur als diffuse Lichter unter den Wolken erschienen sein. Die selben Flammen verzehrten zudem die Verwaltungshauptsitze von Bushmills und Mitchell & Co.

Bushmills und Mitchell & Co getroffen von der Luftwaffe
oben: Luftbild mit Markierung aus der Zielstammkarte für Luftwaffenbesatzungen (Imperial War Museum), Nr. 10 ist die Hafenverwaltung; unten: die direkt südlich anschließenden Whiskeylager (eigene Karte)

Die Luftwaffe flog einen letzten Angriff auf Belfast in der Nacht vom 4. auf den 5. Mai 1941, der aufgrund besserer Wetterverhältnisse genauere Angriffe vor allem auf die Werft ermöglichte. Aber nicht nur deswegen wurde dieses Mal kein Whisky vernichtet: das Ministerium für Öffentliche Sicherheit Nordirlands hatte angeordnet, sämtlichen noch in Belfast befindlichen Whiskey aus der Stadt zu bringen. Es ist schwer nachvollziehbar, warum diese Maßnahme nicht auch in anderen Städten erfolgte. Gleich in der übernächsten Nacht wurde in Greenock die Ardgowan-Brennerei direkt getroffen, über drei Millionen Gallonen verbrannten und dienten mit ihren Flammen wieder einmal als Zielmarke. 

Weitere Luftangriffe auf Irland

Neben Belfast wurden drei weitere Städte als Ausweichziele bombardiert: Londonderry, Bangor und Newtonards. Nur letztere befand sich zumindest ansatzweise in der Nähe einer Brennerei, nämlich Comber.

Eine Gefahr bestand nicht. Der Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 und die Verlegung der meisten Kampfgeschwader nach Osten beendete die großangelegten Operationen der Luftwaffe gegen das Vereinigte Königreich. Die Küsten Nordirlands wurden nur gelegentlich noch vom Kampfgeschwader 40 angeflogen, meist zur Unterstützung der Kriegsmarine in der Atlantikschlacht.

Obwohl neutral, fielen Bomben auf die Republik. Samt und sonders handelte es sich dabei um verirrte Kampfflieger und vereinzelte Abwürfe. Das betrifft die auch vier Bomben, die Dublin am 31. Mai 1941 trafen. Die Berichte von kreisenden deutschen Flugzeugen ohne Formation, die erst nach Beschuss durch die Dubliner Flugabwehr ihre Bomben warfen, sprechen eine deutliche Sprache. Bisweilen spekulierte man, der Angriff sei absichtlich erfolgt, um die Republik vor einer Einmischung in den Krieg zu warnen oder dafür zu bestrafen, dass republikanische Feuerwehrleute bei den Löscharbeiten in Belfast geholfen hatten. Beide Spekulationen sind substanzlos. Die Bomben fielen völlig zufällig und weitab von strategisch relevanten Zielen.

Dies ist insofern ein Glücksfall, als dass es in Dublin noch aktive Brennereien gab, ebenso noch Lagerhäuser voller Whiskey, und diese alle recht nah beieinander. Ein Treffer hier hätte fatale Folgen für die ebenfalls angeschlagene irische Whiskeyindustrie bedeutet.

Die Langzeitfolgen (I): Bushmills

Nur einmal fielen Bomben auf Lagerhäuser irischen Whiskeys und die nordirischen Behörden hatten anders als ihre schottischen Gegenstücke die Voraussicht, den restlichen Whiskey aus den Zielräumen der Luftwaffe zu entfernen. Dennoch muss das Bombardement vom 15./16. April 1941 vor allem Bushmills schmerzlich getroffen haben.

Bushmills gehörte der Boyd-Familie, wie die anderen aktiven nordirischen Brennereien. Die Anfang der 30er leeren Lagerhäuser von Bushmills wurden mit aufgekauften Beständen Combers und Avionels gefüllt, um zeitnah Umsatz zu generieren. Langfristig aber zielte Boyd auf die Entwicklung eines wohlgereiften, idealerweise 10-jährigen Whiskeys aus Old Bushmills ab. Die Mehrheit dieses alten Whiskeys war in das Belfaster Zolllager in der Gordon Street gebracht worden. Die Luftwaffe zerstörte demnach den Kernbestand der wichtigsten nordirischen Brennerei.

In einem geradezu tragikomischen Moment beteiligte sich die US Army an dem Zerstörungswerk. In der stillgelegten Killowen-Brennerei, ebenso im Besitz der Boyds, lagerten die aus Belfast geretteten Bushmills-Fässer. Sie wurde später der Standort einer amerikanischen Einheit, die sich an diesen Fässern ausgiebig bediente, bis es zufällig entdeckt und von der Polizei unterbunden wurde. In der Bushmills-Brennerei waren desgleichen US-Truppen untergebracht. Heute ist das Unternehmen stolz darauf, mit der „open bar“ einen Beitrag zu den Kriegsanstrengungen geleistet zu haben. Damals fiel die Reaktion etwas weniger patriotisch aus.

Welche Folgen dies alles für Bushmills hatte, ist schwer zu ermitteln. Die Luftwaffe hatte nicht nur die Lagerhäuser in Belfast getroffen, sondern auch das Archiv. Damit verlor Bushmills fast alle Akten. Besonders für Historiker stellt dies einen herben Verlust dar. Viele Fragen der Geschichte von Bushmills lassen sich daher nicht mehr klären, z.B. wann genau und warum Bushmills den Single Malt nach schottischem Vorbild als Flaggschiff wählte.

Die Langzeitfolgen (II): Luftwaffe und Whisky

Die Verluste bei Mitchell & Co sind ebenfalls nicht mehr zu beziffern. Einst ein Gigant lagerten sie 1941 wohl noch Restbestände der Connswater Distillery, die 1929 schloss. Derartig lange Aufbewahrung verwundert, ist jedoch kein Einzelfall. Die Abwicklung von Dunville dauerte gleichfalls zwölf Jahre. Bei Kriegsausbruch hatten nur wenige an eine Zukunft für irischen Whiskey geglaubt. Offenbar verstaubte er bisweilen eher als dass er verkauft wurde.

Daten nach Ulster Farm and Factory Exhibition, zit. nach Morgan, S.53

Waren in den späten 30ern noch zarte Hoffnungsschimmer eines Aufschwungs erkennbar, stürzte die nordirische Whiskyindustrie während des Krieges völlig ab und erholte sich auch Jahre danach nicht. Im Jahre 1939 wurden 671.000 Gallonen exportiert, 1942 nur noch 63.000 Gallonen – ein Einbruch von über 90 Prozent. Der Export stagnierte auch in der Nachkriegszeit, als der schottische Whisky nicht zuletzt dank Winston Churchills wirtschaftspolitischer Förderung die Welt eroberte.

So wie die Luftwaffe durch ihre Bombardements von Lowland-Brennereien nicht den Untergang derselben verursachte, sehr wohl aber beschleunigte, waren ihre Feuer in Belfast nicht der Auslöser für das Sterben der nordirischen Destillen. Vermutlich hatte die Luftwaffe nicht einmal beschleunigende Wirkung, da bis auf Bushmills praktisch alle Brennereien schon stillgelegt waren oder dem Ende entgegen sahen. Bushmills hingegen dürfte durch den Angriff erheblich zurückgeworfen worden sein in den Anstrengungen, den US-Markt zu erobern.

Das Jahr 1941 mit seinen schweren Luftangriffen auf schottische und irische Brennereien und Lagerhäuser veränderte also nicht grundlegend die Entwicklung des Whiskys. Indes ließ es die bestehenden Bruchlinien und Tendenzen deutlicher zu Tage treten. Der Luftwaffe gebührt damit wenngleich kein zentrales, doch immerhin ein sehr interessantes Kapitel in der Geschichte des Whiskys.

Ausgewählte Literatur:

  • Allen, Trevor: The Storm Passed by. Ireland and the Battle of the Atlantic 1940-1941, Dublin 1996
  • Balke, Ulf: Kampfgeschwader 100 „Wiking“. Eine Geschichte aus Kriegstagebüchern, Dokumenten und Berichten 1934-1945, Stuttgart 1981
  • Barton, Brian: The Blitz. Belfast in the War Years, Belfast 1989
  • Davison, Robson S.: The German Air Raids on Belfast of April and May 1941, And their Consequences, Diss. Queens University Belfast 1979
  • Kearns, Kevin: The Bombing of Dublin’s North Strand 1941, Dublin 2009
  • Magee, Malachy, 1000 Years of Irish Whiskey, Dublin 1980
  • Morgan, Brandon: The Three Distillations of Belfast’s Whiskey Industry. The Rise, Fall, and Renaissance from the 1860s to Present Day, Diss. Queens University Belfast 2024
  • Mulryan, Peter: Bushmills. 400 Years in the Making, Belfast 2008
  • Wakefield, Kenneth: The First Pathfinders. The Operational History of Kampfgruppe 100 1939-1941, London 1981

Anhang: Kampfgruppe 100 „Wiking“. Die Whisky-Zerstörer?

Kurz vor dem Ende des Krieges ließ das Oberkommando der Luftwaffe seine Akten vernichten, damit sie nicht dem Feind in die Hände fielen. Deswegen, und aufgrund von Bombentreffern auf Archive, verfügen wir heute über kaum mehr als drei Prozent des Aktenbestandes der Luftwaffe. Dies macht Recherchen wie diese zu einer Puzzlearbeit mit fragmentarischen Quellen.

So ist nicht ganz klar, ob die Kampfgruppe 100 „Wiking“ am Angriff auf Belfast in der Nacht des 15./16. Aprils 1941 beteiligt war. Sie diente der Zielfindung durch Funkleitstrahlen und beleuchtete die Ziele, zumeist durch Brandbomben. Ob diese Einheit gegen Belfast flog, ist insofern wichtig, als dass sie sonst nahezu allen Bombardements den Weg leuchtete, bei denen Brennereien oder Lagerhäuser zerstört wurden – mit der prominenten Ausnahme von Banff. Die KGr 100 wäre damit direkt verantwortlich für fast alle Kriegsverluste irischen und schottischen Whiskys.

Infographik zu den Angriffen der KGr 100 auf Brennereien und Lagerhäuser

Die Einzelmeldungen der Luftflotte 3 notieren für die fragliche Nacht den Einsatz von vier Maschinen der Gruppe gegen Portland sowie den von elf anderen Maschinen gegen eine Reihe von Sekundärzielen; eine weitere verirrte sich komplett. Beim Angriff auf Belfast wäre die Gruppe demnach absent. Stattdessen übernahm die Zielfindung das Kampfgeschwader 27 „Boelcke“, das in dieser Rolle nicht spezialisiert, aber befähigt war.

Es liegen aber die Berichte zweier „Wiking“-Flugzeugführer vor, die mit ihren Bombern vom Typ Heinkel 111 Belfast angeflogen und beleuchtet haben: Feldwebel Georg Deininger und Oberfeldwebel Paul Wiersbitzki. Beide wurden Mitte Juni über England abgeschossen und gefangen genommen. Deininger stellte dem Historiker Kenneth Wakefield viele Photos, Dokumente und Informationen zur Verfügung. Vielleicht irrte er im Datum. Belfast war immerhin wenig später das Ziel der gesamten Kampfgruppe, am 4./5. Mai. Allerdings sind seine Angaben sehr genau und Wakefield kam zum Schluss, dass Belfast, nicht Portland, das Primärziel am 15./16. April war.

Diese Argumentation deckt sich zwar nicht mit der Aktenlage, aber die ist eben fragmentarisch – und bisweilen irritierend. Auch über Portland waren Pfadfinder des KG 27, aber sonst relativ wenige Bomber. Mehr noch, KGr 100 diente beim Portlandangriff nicht der Zielfindung, sondern als gewöhnlicher Kampfverband mit Sprengbomben zur Zerstörung einer Torpedofabrik. Bei einer großangelegten Operation mit Schwerpunkt Belfast also soll auf die Spezialisierung der KGr 100 verzichtet und stattdessen eine darin weniger erfahrene Einheit mit dem Anführen gleich mehrerer Angriffe beauftragt worden sein? Möglich ist es, wenn auch unwahrscheinlich.

Möglich ist ferner, dass Belfast nach Plan von 14 Besatzungen des KGr 100 beleuchtet werden sollte. Und nur zwei davon erfüllten diesen Auftrag, elf andere attackierten Ausweichziele und eine brach ganz ab. Diese Bilanz macht sich in der Tat unglücklich als „Erfolgsmeldung“ der Luftflotte – unter diesem Namen gingen die Berichte über Angriffe 1941 in die Akten. Da sieht eine vernichtete Torpedofabrik besser aus, weswegen diese vielleicht ex post zum Ziel erklärt wurde. Darüberhinaus erklärte diese These den geringen Effekt der Luftflotte 3 gegen Belfast. Ohne die eigentlich vorgesehenen Pfadfinder der KGr 100 fanden duzende Maschinen ihre Ziele unter den Wolken nicht.

Eine weitere Möglichkeit ist, dass Deininger und Wiersbitzki selbst vom Kurs abgekommen sind und Belfast eigenmächtig angegriffen haben. So begann übrigens auch der erste Angriff auf Belfast am 7./8. April, als Oberleutnant Siegfried Röthke vom KG 4 „General Wever“ die Stadt anflog, ohne dass sie als Ziel für ihn ausgegeben war. Wir wissen nicht, wie die Meldungen dazu aussahen, denn KG 4 gehörte zur Luftflotte 2, deren Berichte verloren sind.

Obwohl sich nicht mit Sicherheit sagen lässt, ob KGr 100 über Belfast war, als die Whiskeys von Bushmills und Mitchell & Co im Feuer vergingen, ist es recht wahrscheinlich. Sie spielte in dieser Nacht nur eine Nebenrolle und doch: wieder einmal taucht der Name „Wiking“ auf.

Keine andere fliegende Einheit des Zweiten Weltkrieges ist so eng verknüpft mit brennendem Whisky. Im Grunde überrascht dies wenig. Die KGr 100 war für die Zielfindung trainiert und ausgerüstet, führte daher (fast) alle größeren Operationen der Luftwaffe gegen Großbritannien an. Die Zielmarkierung mit Brandmitteln und die im Ziel befindlichen leicht brennbaren Whiskybrennereien und -Lager führte dazu, dass „Wiking“ für einen erheblichen Teil der Verluste verantwortlich zeichnet, direkt wie indirekt.

Selbst wenn Belfast von der Liste zu streichen wäre, am Ende waren die Besatzungen der KGr 100 „Wiking“ damit die Whisky-Zerstörer.

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