Als die Kunst zur Wissenschaft wurde

Ein Chemikerstreit um die Seele des Whiskys aus dem Jahre 1963

Scotch und sein Geheimnis

In den frühen 1960ern hatte Whisky internationale Märkte erobert. In diese Zeit fallen auch die ersten ernsthaften Versuche, fassgereifte Gerstendestillate in Ländern herzustellen, die traditionellerweise keinen Whisky produzierten, und sie Whisky zu nennen. Die Schotten waren sich sicher, dass keiner dieser Versuche auch nur ansatzweise an Scotch heranreichen würde. Dafür steckte zu viel Erfahrung und Tradition in ihren Whiskys.

Der Chemiker Dr. E.C. Barton-Wright jedoch führte ein völlig anderes Argument ins Feld: er meinte, dass den schottischen Whisky ein Mysterium umgebe, das mit wissenschaftlichen Mitteln einfach nicht lösbar sei. Folglich könne niemand schottischen Whisky replizieren. Für einen Experten in der Lebensmittelchemie und Fellow am Royal Institute of Chemistry ist dies eine gelinde gesagt bemerkenswerte Ansicht:

„The production of whisky is undoubtedly an art and all attempts to produce whisky by a ‚scientific‘ approach have proved to be futile.“

„Die Herstellung von Whisky ist fraglos eine Kunst und jedweder Versuch, Whisky auf ‚naturwissenschaftlicher’ Basis herzustellen, hat sich als fruchtlos erwiesen.“

Barton-Wright 1963, 788

Es dauerte nicht lang, bis ein Kollege des Fachs Widerspruch geltend machte. Dr. J. Edwin MacDonald von der University of Manchester initiierte einen Streit, der in der Zeitschrift New Scientist von 1963 bis 1964 ausgetragen wurde. Heutzutage wäre dies vermutlich eine Serie wütender Tweets, damals hingegen hatten die beiden Antagonisten genug Zeit und Raum, ihre Sichtweisen wohlüberlegt vorzubringen. Die folgende Diskussion wirft faszinierende Schlaglichter auf die Entwicklung des Whiskys und die zeitgenössische Beurteilung derselben.

Die Einzigartigkeit des Scotch Whisky. Schlaglicht 1: das Klima

Barton-Wright war überzeugt von der Einzigartigkeit des Scotch Whisky. Nicht einmal die Schotten selbst seien in der Lage, außerhalb von Schottland ein dem Scotch ähnlichen Whisky zu brennen. Experten hätten dies in Südafrika und Australien vergeblich versucht. Ganz abfällig äußert er sich über nicht-schottische Versuche: „Is it any wonder that if the Scottish expert cannot do it outside their own country that mere amateurs like the Danes and Dutch have failed?“. Und wäre es möglich, außerhalb von Schottland Scotch herzustellen, hätte man es doch längst getan. (Offensichtlich kannte er die juristischen Tätigkeiten der SWA nicht…).

Barton-Wright beachtete grundsätzlich nicht den Faktor des lokalen Klimas und seiner Bedeutung für die Lagerung und den Geschmack des Whiskys. Heute wird dies fast selbstverständlich als entscheidend für den Charakter des Scotchs vorausgesetzt. Damals hingegen erwähnte es auch MacDonald nicht, der vielmehr darauf abhob, dass Unterschiede im Geschmack die Folge nachprüfbarer Variablen seien: Bourbon vs Sherry-Fass, Blended vs. Single Malt, Peated vs Unpeated. Unterschiede seien also prinzipiell replizierbar, indem diese Variablen verändert wurden.

Heutzutage erstaunt, dass keiner der beiden angesehenen Wissenschaftler das Klima Schottlands bzw. das Mikroklima, das ein Lagerhaus umgibt, als zentrale Variable zu erkennen vermochte. Von modernen Lagerstrategien oder gar einem Fassmanagement, wie wir es heute kennen, waren die Schotten damals noch sehr weit entfernt.

Cover des New Scientist, Band 21, in dem MacDonalds Brief veröffentlicht wurde

Sherry-Fässer oder Bourbon-Fässer? Schlaglicht 2: Fassreifungen

Die Frage der Fässer ist eigentlich ein typischer Nebenkriegsschauplatz, da sie für keinen der Diskutanten eine zentrale  Funktion ihrer Argumentation einnahm. Vielmehr schienen sie sich aus Prinzip zu widersprechen. (Dies erinnert fatal an Twitter…).

Spannend ist dabei, dass nicht von Bourbon-Fässern die Rede ist. MacDonald spricht von „plain oak“, Barton-Wright von „American red oak“. Sie sind sich einig, dass die Brennereien grundsätzlich Sherry-Fässer bevorzugen. Allerdings verweist MacDonald darauf, dass dies aus Gründen des Geschmacks und der Farbgebung geschieht. Barton-Wright schreibt, dass die Brennereien zur Nutzung von Bourbon-Fässern gezwungen seien, einfach weil der bevorzugte Fasstyp immer seltener wird.

Bisweilen ist schwer zu verstehen, weswegen sich die beiden überhaupt streiten, da diese Ansichten im Grunde harmonieren. Barton-Wright jedoch unterstellt MacDonald implizit, dass dieser nicht wüsste, warum Brennereien Bourbon-Fässer nutzen. Dafür gibt es keinen Anhaltspunkt in MacDonalds Text. Völlig grundlos kommt an dieser Stelle eine unterschwellige Feindseligkeit zutage.

Wir können erkennen, dass damals schon Bourbon-Fassreifungen dominierten, deren inhärente Qualitäten aber noch nicht gewürdigt wurden. Dass für die Reifung eines Scotchs gerade die Aromen des amerikanischen Whiskys und die Holzkohleschicht dieser Fässer attraktiv sein konnten, kam niemandem in den Sinn. Im Gegenteil, sie galten als Notlösung und laut Barton-Wright sollen sie sogar ernste Probleme verursacht haben. Leider erfahren wir nicht, welche Probleme.

Sassenach Whisky Drinkers. Schlaglicht 3: Blend und Single Malt

Ebenfalls stritten sich die Chemiker um den Zweck und die Natur der Blended Whiskys, also jener Whiskys, die aus Malt und Grain Whisky gemischt werden. Für Barton-Wright war die Sache eindeutig: die Aromen des Malt Whisky seien zu wuchtig für ausländische Whiskytrinker, sodass er mit leichteren Grains verschnitten werden musste. Dies sei eine Kunst. MacDonald hielt feurig dagegen:

„The vast majority of Sassenach whisky drinkers – and vendors – have never even heart of a single malt whisky. But the reason for blending is plain enough. By mixing grain with malt whiskies, younger with older whiskies and not-so-good with better whiskies (more of the former in each case, of course) it is possible to produce a very much larger amount of whisky for sale more quickly, more easily and more cheaply.“

„Die meisten Sassenach-Whiskytrinker – und Verkäufer – haben noch nie was von einem Single Malt Whisky gehört. Aber der Grund für das Blending liegt auf der Hand. Durch das Verschneiden von Grain mit Malt, jüngerem mit älterem, nicht-so-gutem und besserem Whisky (immer mehr von ersterem, versteht sich), ist es möglich, eine sehr viel größere Menge zu verkaufenden Whiskys schneller, einfacher und billiger herzustellen.“

MacDonald 1964, 102

Blended Whisky war also das Maß aller Dinge und Single Malt seinerzeit ein absolutes Nischenprodukt, anders als heute. Dass dessen Aromen zu schwer für den internationalen Konsum sein sollen, könnte tatsächlich dem Geschmack der Zeit entsprungen sein. Letztlich aber ist MacDonalds Argument der Wirtschaftlichkeit von Blends völlig korrekt.

Die beiden Ansichten schließen sich nicht gegenseitig aus, zeugen jedoch von einem grundverschiedenen Zugang zur Materie. Wo Barton-Wright vom Mythos Whisky ausgeht und somit auch im Blending eine Kunst für den bestmöglichen Geschmack sieht, verfolgt MacDonald einen kühl-berechnenden, wissenschaftlichen Ansatz. Es ist bezeichnend, dass sie diesen leicht überbrückbaren Gegensatz nicht zu überbrücken vermochten. (…auch dies erinnert an Twitter).

Exkurs: Prämiere des Glenfiddich Straight Malt 1963

Das Jahr 1963 ist für Whisky-Fans kaum mit einem Akademikerstreit verbunden, sondern mit der Prämiere des Glenfiddich Straight Malt. Zum ersten Mal sollte ein Single Malt Whisky – noch nicht so genannt – seine Zielgruppe außerhalb Schottlands finden. Dies gilt gemeinhin als ein Meilenstein der Whiskygeschichte, weil von nun an Single Malt immer wichtiger wurde.

Moderne Nachstellung der originalen Anzeige von 1963 durch Glenfiddich

Was aus heutiger Sicht aber den Beginn einer Erfolgsgeschichte markiert, war damals ein Risiko – und keines, das William Grant & Sons ganz freiwillig eingingen, denn sie hatten damals Schwierigkeiten mit ihrem Zulieferer von Grain Whisky. Für die Diskutanten MacDonald und Barton-Wright erschien der neue Straight Malt vielleicht kurios. Möglich ist, dass sie den Straight Malt gar nicht kannten – das halte ich jedoch für weniger wahrscheinlich.

Es ist sinnvoller, die Glenfiddich-Prämiere aus der Perspektive der Zeitgenossen zu betrachten. Ob aus wirtschaftlichen oder geschmacklichen Gründen, die Schotten setzten 1963 auf den Export von Blended Whisky. Selbst William Grant & Sons schickten sich noch im selben Jahr an, mit erheblichem Kostenaufwand eine Grain-Brennerei bei Girvan zu bauen, damit sie auch ohne Zulieferer Blends produzieren zu konnten. Allzu sehr vertraute man dem Straight Malt nicht. Er war ein Experiment, von denen es in der Whiskygeschichte einige gegeben hat. Nur aus der Jetzt-Perspektive ergibt sich ein ganz anderes Bild, das weder für Barton-Wright noch für MacDonald in ihrer von Blends bestimmten Welt erkennbar war.

Retrospektive: Lehren dieses Streits

Zu einem Ergebnis sind beide nicht gekommen. Ihr Streit verrät aber einiges über den Zustand der schottischen Whiskyindustrie Anfang der 60er. Vieles, was heute selbstverständlich erscheint, war damals noch nicht voll entwickelt. Allein die Vorstellung, Whisky sei ein Mysterium, spricht Bände über die unwissenschaftlichen Methoden seiner Herstellung. Klimatische Bedingungen scheinen vollends ausgeklammert zu sein, die (für uns durchaus wünschenswerte) Wirkung der Bourbonfässer auf das Destillat ist allenfalls lückenhaft bekannt und das Verständnis der Blends schwankt zwischen dem Extrem der Geldsparmaßnahme und dem der unbegreiflichen Kunst.

Dies zeigt, wie weit entfernt der schottische Whisky von unserem Idealbild noch war. In der longue durée betrachtet überrascht dies kaum. Fassreifungen waren erst seit dem späten 19. Jahrhundert üblich und seit 1916 gesetzlich auf wenigstens drei Jahre festgeschrieben. In den 60ern reichte der Erfahrungsschatz mit Fassreifungen, böse gesagt, nur zwei Generationen zurück. Die Erfahrungen mit Bourbonfässern waren noch jünger. Und wissenschaftliche Ansätze, wie sie heute üblich sind, waren damals ungewöhnlich. Wenn sogar ein renommierter Chemiker sie ablehnte, wird die Akzeptanz in den Brennereien sicher nicht viel größer gewesen sein.

Aber immerhin: Barton-Wright konnte seine Thesen nicht mehr widerstandslos in den Raum stellen. Und selbst wenn sein Widersacher MacDonald gelegentlich irrte, hatte dessen Einstehen für die Naturwissenschaft letztlich das bessere Ende für sich. In unseren Zeiten, da selbst Terroir von Whisky untersucht wird, zweifelt niemand mehr an der wissenschaftlichen Basis der Whiskyherstellung. Wenig Romantik steckt darin, dafür viel Fachwissen.

Dies musste sogar die Redaktion des New Scientist zehn Jahre nach dem Streit zugestehen. Es war soweit, dass der Geschmack von Whisky sehr wohl chemisch analysiert werden konnte. Fast schon traurig schließt die Miszelle aus dem Jahr 1974:

„an art […] has now become a science.“

The New Scientist

Die Kunst ist zur Wissenschaft geworden.

Literatur:

  • Barton-Wright, E.C.: The Mystery of Scotch Whisky, New Scientist 20 (1963), 788
  • Ders.: The Mystery of Scotch (Replik auf MacDonald), New Scientist 21 (1964), 236
  • MacDonald, J. Edwin: Whisky Straight?, New Scientist 21 (1964), 102
  • o.V.: Solving the Whisky Mystery, New Scientist 63 (1974), 541

2 Comments

  • Bettina Huonker 3. Juli 2022 at 16:25 Reply

    Sehr interessanter Artikel

    • Dr. Kai Grundmann 3. Juli 2022 at 19:09 Reply

      Danke sehr, Bettina!

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