Whisky Soda oder ‚Whodunit?‘

Reflexionen über Kriminalromane und Whisky – Teil I

Mimi Rutherford: “Ich kann nicht verstehen, dass Ihnen das Buch nicht gefallen hat. Es ist wirklich gut geschrieben. Und ich habe schon einige Krimis gelesen.”

Inspector: “Unsinn ist es; nichts weiter.”

Rutherford: “Haben Sie es denn bis zum Schluss gelesen?”

Inspector: “Ich habe es überhaupt nicht gelesen. Das brauch‘ ich auch nicht. Denn in diesen Krimis steht immer dasselbe drin. Es wird jemand umgebracht, die ach so dumme Polizei verdächtigt den falschen und irgend ein Hobbyschnüffler kommt schließlich auf den Trichter und liefert den Mörder seiner gerechten Bestrafung aus.”

Mimi Rutherfurt – Folge 02: Nacht-Express, Maritim Verlag

Damit ist die Handlung sehr vieler klassischer Detektivgeschichten pointiert auf den Punkt gebracht. Das dem so ist, liegt daran, dass die meisten nach demselben Muster gestrickt sind und auf bestimmten Regeln basieren. Formuliert wurden diese Regeln zum ersten Mal 1928 vom Amerikaner S.S. Van Dine. Allerdings: Als er seine 20 Regeln zum Schreiben einer Detektivgeschichte aufgestellt hat, hat er augenscheinlich eine der wichtigsten Regeln vergessen: Der Scotch muss fließen. Auch der 1928 gegründete britische Detection Club, der eine schlankere Variante mit Zehn Regeln für einen fairen Kriminalroman (Father Knox’s Decalogue) zusammenstellte, ließ Scotch außen vor. Dabei erhielt Scotch zu dieser Zeit, als Detektivgeschichten auf ihrem absoluten Höhepunkt waren, in sehr vielen Geschichten eine Gastrolle als ausgesprochen beliebtes Getränk der Protagonisten. Aber warum eigentlich?

Ermittler im Wandel der Zeit

Bei den Wegbereitern dieses Genres wie Edgar Allan Poe mit seinem C. Auguste Dupin in den USA ab 1841, und auf britischer Seite ab 1887 Arthur Conan Doyle mit seinem Sherlock, für den Dupin im Übrigen als Vorlage diente, spielten alkoholische Getränke noch keine sonderliche Rolle. Sherlock hatte andere Laster, wie wir wissen. In der Zwischenkriegszeit aber, dem Goldenen Zeitalter der gern auch als Whodunit ( = Who done it? = Who has done it? = Wer hat’s getan?) bezeichneten Kriminalgeschichten, änderte sich der in den Büchern porträtierte Lebensstil der Protagonisten. Der Scotch hält Einzug.

Dabei wurde Scotch nicht unbedingt pur getrunken, sondern gern auch als Teil von Longdrinks, wie dem heute fast vergessenen Scotch Soda, aber auch als Scotch High-Ball. Er findet sich bei Agatha Christie eben so wie in den Büchern um Lord Peter Whimsey von Dorothey L. Sayers. Nachwievor finden sich zusätzlich noch Brandy- und Cognac-Trinker unter den Romanfiguren, vor allem bei den Krimis Van Dines. Aber wir befinden uns ganz klar in einer Übergangszeit hin zu Scotch, besonders in Großbritannien, aus dem der Großteil der Whodunit-Autoren zu dieser Zeit kommt.

Da all diese Romane in das gleiche gesellschaftliche Umfeld eingebettet sind, beschreiben sie alle diesselbe Lebenswelt der gehobenen britischen Klassen. Eine Lebenswelt, die einher kommt mit großen Häusern, Dienstboten und einem gerütteltem Maß an Klassismus. Der Genuss von Alkohol gehört (auch) in diesen Schichten fest zum alltäglichen Leben. – Wobei die Frauen dieser Schichten bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Bezug auf ihren Alkoholkonsum noch strikten moralisch-gesellschaftlichen Beschränkungen unterlagen. Erst der durch den 1. Weltkrieg gekennzeichnete Epochenbruch brachte den Frauen in dieser Hinsicht erste Freiheiten, die kontinuierlich größer wurden. Die neugewonnenen Freiheiten spiegeln sich durchaus auch in den Romanen wider.

Und wer den Beschreibungen der Kriminalautoren misstraut, der sei auf Anthony Powell und seinen autobiografischen, 12 Bände umfassenden Romanzyklus “Ein Tanz zur Musik der Zeit” verwiesen, in dem er unter anderem ausgiebigst die Lebens- (und Trink-) gewohnheiten der britischen Upperclass in den 20er und 30er Jahren beschreibt, einschließlich ihres auschweifenden Partylebens. Wenn auch stilistisch völlig anders geartet, finden sich hier den Kriminalromamen sehr ähnliche Beschreibungen gesellschaftlichen Lebens.

Der literarische Aufstieg des Whiskys

Dass Scotch – bis dahin als Getränk der Working Class eher geächtet – sich plötzlich einer so großen Beliebtheit auch in den oberen gesellschaftlichen Schichten erfreute, hat eine so einfache wie naheliegende Erklärung: Der Brandy wurde knapp und eine Alternative musste her. Die aus Amerika nach Europa eingeschleppte Reblaus wütete ab den 1860er Jahren in weiten Teilen der Weinbaugebiete Frankreichs. Der daraus resultierende Mangel an weinbasierten Spirituosen öffnete den Markt für alternative Produkte.

Parallel dazu wurde das britische Eisenbahnnetz ausgebaut, Schottland wurde zum beliebten Reiseziel der High Society, schotttische Produkte erzielten ganz allgemein eine größere Reichweite auf dem Gütermarkt. Zudem ermöglichten verschiedene Regierungserlasse und technische Weiterentwicklungen ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine effizientere Produktion. Die Kombination von günstigem Grainwhisky und hochwertigem Maltwhisky ermöglichte in Form von Blended Scotch ein ausgewogenes, einfach zu prozudierendes Gesamtprodukt.

Die Händler versuchten zudem gezielt Scotch als hochwertiges Erzeugnis auf dem Markt zu etablieren. Sie wollten die Käufer davon überzeugen, dass Scotch dem bis dato von der Mittel- und Oberschicht bevorzugten Brandy ebenbürtig war. Eine geschmackliche Parallele zu Brandy ergab sich durch die Lagerung in Sherryfässern.

Insbesondere die drei großen Whisky-Firmen dieser Zeit, Buchanan, Dewar and Walker, verstanden es sehr erfolgreiche Marketingkampagnien zu fahren: die Gestaltung der Ettiketten, der gezielte Vertrieb in vornehmen Hotels und Clubs, alles zielte darauf ab, beständig den elitären Status des Getränks zu unterstreichen. Selbst die reinrassigen Pferde und hochwertig gekleideten Kutscher, die den Scotch von Buchanan um die Jahrhundertwende durch London kutschierten, verkörperten für jeden sichtbar diese Botschaft (vgl. Hands, T.: Drinking in Victorian and Edwardian Britain, S. 70). Es wurde mit jeder Flasche Scotch gezielt ein spezifisch englisches, gleichermaßen weltmännisches Lebensgefühl verkauft und der Plan ging auf, Scotch wurde zum weithin akzeptierten Drink der gehobenen Klassen.

Eine Anzeige aus den 20ern, an Scotch-and-Soda wird schon gedacht

Wirklichkeit und Literatur

Gleichermaßen englisch und weltmännisch waren in der Regel auch die Settings der Kriminalromane. Die Detektive stammen mindestens aus der Mittel-, oft auch aus der Oberschicht oder dem niedrigen Adel. Die Geschichten spielen allesamt in gehobener Gesellschaft, die privaten Ermittler kennen keine Geldsorgen, die Ermordeten spielen eine geringere Rolle als der fröhlich Reigen der Verdächtigen, der sich in idyllischen Ortschaften und angemessen vornehmen Etablissments bewegt.

Wir bewegen uns in diesen Geschichten zwischen großen Herrenhäusern auf dem englischen Land, mondänen Villen an der Cote d’Azur und den Kolonien des Empires. Die Butler tragen den Herrschaften den Whisky im Dekanter zusammen mit Siphonflaschen auf Tabletts hinterher. Es gibt Dienstmädchen, Köchinnen und Chauffeure. Aber all diese Personen sind mit ihren Rollen als Zuträger im besten Falle nebensächlich, im schlimmsten verdächtig.

‚You’d already been told that Mr Ackroyd didn’t want to be disturbed, hadn’t you?‘

Parker began to stammer.

His hands shook.

‚Yes, sir. Yes, sir. Quite so, sir.‘ ‚And yet you were proposing to do so?‘ ‚I’d forgotten, sir. At least I mean, I always bring the whisky and soda about that time, sir, and ask if there’s anything more, and I thought – well, I was doing as usual without thinking.‘ It was at this moment that it began to dawn upon me that Parker was most suspiciously flustered. The man was shaking and twitching all over.

Agatha Christie – The Murder Of Roger Ackroyd, S. 26

Diejenigen mit den Hauptmotiven sind nämlich i.d.R. nicht die Angestellten, sondern ihre Arbeitgeber. Daher stammen auch so viele Detektive aus den oberen Schichten. Ein normaler Polizist, hierarchisch niedriger stehend, könnte kaum in solch einem Millieu ermitteln.

Dass die Hauptfiguren, das heißt der Kreis der Verdächtigen, ebenso wie die privaten Ermittler, hochwohl geboren sind, schützt sie aber ebensowenig wie die Nebenfiguren davor, in nicht wenigen Romanen dieses Genres etwas holzschnittartig daher zu kommen. Und die Art der Charaktäre gleicht sich doch von Buch zu Buch: hochmütige Familienvorsteher, schöne junge Damen, äußerst moralische ältere Damen, Playboys, abgehalfterte Schauspielerinnen, ein Oberst, der alle anderen mit seinen Geschichten langweilt, etc. Wobei wohl niemand dieses Bücher wegen ihres literarischen Anspruchs lesen dürfte. Der Wert solcher Bücher liegt vielmehr in der Zerstreuung, die sie dem Leser bieten.

Der nämlich darf fröhlich mitraten whodunit und die Ermittler bestechen durch Geistesschärfe und entlarfen unvermutete Täter nicht in wilden Verfolgungsjagdten, sondern durch gepflegten Small Talk. (Oder auch direkt vom Lehnstuhl aus, Stichwort „Armchair detective„. – Und hier schließt sich dann auch wieder der Kreis zu Sherlock Holmes.) In einer solchen Welt trink man gern aus den unterschiedlichsten Gründen einen dieser Klasse angemessenen Drink – Scotch (Soda), vor dem Essen, zum Essen, nach dem Essen, während einer Dinnerparty, als Betthupferl, auf einen erlebten Schock – der Anlass spielt fast keine Rolle, so lang er nur in ein entsprechend vornehmes Umfeld eingebettet ist …

‘A pause for refreshments seems indicated,’ Quilter suggested. He pushed the whisky over to French. ‘Help yourself, inspector. A bit of lubricant in the throat makes it work easier.’

Freeman Wills Crofts, The 12.30 from Croydon, S.231

Der dem Leser durch diese Kombination aus wohliger Unterhaltung, leichtem Schauer und vornehm-sorglosen Lebenswelten ermöglichte Eskapismus fand nicht nur in den 1920er Jahre großen Anklang. Sie funktioniert auch heute noch ganz hervorragend, man denke nur an Inspector Barnaby… Ob man nun aber den in diesen Geschichten porträtierten Lebensstil der britischen Upperclass als distinguiert empfindet oder als versnobbt, sei dahin gestellt. Klar ist, er gefällt dann doch nicht jedem. Vor allem gefiel er den von der Great Depression und prekären Lebensverhältnissen gezeichneten Amerikanern nicht. Man sehnte sich nach mehr Realismus in den Detektivgeschichten. Und nach Bourbon. Der Hardboiled Detective erblickt das literarische Tageslicht und macht den „cozy“ Krimis der Briten ordentlich Konkurrenz. Mehr dazu in Teil 2.

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