Mick Herron: Die Jackson Lamb-Reihe I

Teil 1: Slow Horses

~ Agenten und Alkohol ~

Wenn es eine Berufsgruppe gibt, die dem Whisky besonders zugetan ist, dann sind es Ermittler in allen Varianten: Privatdetektive, Kommissare, Agenten. Oft vom Leben gezeichnet und so ernüchtert, dass ihnen nur das Trinken bleibt. Da sollte man doch meinen, dass in den Agententhrillern des Briten Mick Herron der Whisky ganz besonders reichlich fließt, oder?

~ Moment mal. Agententhriller? ~

Ist der Drops nicht längst gelutscht? Nein! Herron hat sich des Genres angenommen und ein Ermittlerteam auf die Welt losgelassen, das sogar Krimi-Verweigerer wie mich in seinen Bann zieht.

Die Bücher beantworten die Frage, was mit MI5-Agenten passiert, die im Job gestrauchelt sind, aber nicht entlassen werden können: Sie landen als „Slow Horses“, so auch der Name des ersten Romans, im sogenannten „Slough House“, dem Abstellgleis für Versager. Dort dürfen sie an ebenso lahmen Rechnern stumpfsinnig Daten einpflegen und Akten sortieren. Aber gelegentlich bietet sich ihnen die Chance, wieder richtig zu ermitteln, und wer weiß, ob nicht der nächste erfolgreich gelöste Fall das ersehnte Ticket zurück ins Hauptquartier des MI5 ist.

~ Zurück zum Whisky. ~

Ja, der Whisky fließt in dieser Serie. Glenmorangie, Talisker, you name it …

Interessanterweise sind es überwiegend die älteren Agenten, die ihm zugetan sind. Der Whisky-Genuss ist hier verknüpft mit einer vergangenen Ära, als die Welt noch schwarz-weiß, die Fronten eindeutig waren. Die Jüngeren trinken nur noch aus Geselligkeit mit.

„River looked down at his glass. He only ever drank whisky with his grandfather. Maybe that made it a ritual.“

Herron, Dead Lions, S.67

Einige der Whisky-trinkenden Protagonisten haben eine bevorzugte Sorte, so dass nichts näher liegt, als den Lesegenuss mit dem Genuss der im jeweiligen Buch vorkommenden Whiskysorte zu verbinden.

Wir füllen unser Glas also mit einem Klassiker unter den Whiskys, einem Glenmorangie, und legen los mit

~ The Slough House series #1 – Slow Horses (2010) ~

Die Story.

River Cartwright hat verkackt, aber so richtig. Zur Strafe versetzt ihn das MI5 zu den anderen Versagern ins Slough House, dessen Chef der so diensterfahrene wie misanthropische Kalte Krieger Jackson Lamb ist.

River, bisher auf der Überholspur, hat seinen Job nur deshalb nicht gänzlich verloren, weil sein Großvater, der O.B. (= Old Bastard), ein altgedienter und hochgestellter MI5-Agent war. Neben River und Jackson gibt es noch sieben weitere Slow Horses. Allesamt sind sie unglücklich in Slough House und verbergen ihren Frust mehr schlecht als recht. Doch plötzlich kommt Bewegung in ihren zähen Alltag. Ein pakistanisch-stämmiger Jugendlicher wird entführt und seine Gefangenschaft, zusammen mit der Ankündigung seiner Enthauptung, im Internet übertragen. Und River sieht seine Chance wieder aufzusteigen gekommen. Aber auch seine Kollegen haben eine Vorstellung davon, wie sie den Fall zu ihren Gunsten nutzen können. Und wie es so ist in Agenten-Krimis, nichts ist, wie es scheint und alles hat einen doppelten Boden.

Der Autor nimmt sich sehr viel Zeit, seine Figuren zu entwickeln. Er beobachtet sie genau und lässt sie in schöner Regelmäßigkeit auf einander prallen, garstige Dialoge inklusive. Insgesamt interessiert sich der Autor viel stärker für die zwischenmenschlichen Beziehungen und deren Entwicklungen in extremen oder wenigstens angespannten Situationen, als für ausgebuffte Superschurken, die gemeinsam bekämpft werden wollen. Hier dreht jeder sein eigenes Ding. Trotzdem mangelt es dem Buch niemals an Spannung.

Schön, aber was ist jetzt mit dem Whisky?

Whisky trinkt in diesem Buch hauptsächlich Rivers Großvater, und River mit ihm, wenn er bei ihm zu Besuch ist.

„[…] River and his grandfather retreated to the study, the room where spirits were drunk. […] Glenmorangie in hand, firelight dancing in the corners […].“

Herron, Slow Horses, S. 83

Im Studierzimmer des O.B. sitzen River und er also von Zeit zu Zeit zusammen und trinken, was der O.B. einschenkt. Und was er einschenkt ist Glenmorangie. Ein Whisky, der ausgezeichnet zum Charakter des alten Mannes passt. Oberflächlich betrachtet gemütlich und zurückhaltend, aber darunter verbergen sich ungeahnte Tiefen!

„The O.B. could wander to the shops […] twinkle at butcher, baker and post office lady, and none of them would come within a mile of guessing that hundreds of life have passed through his hands […]. He was generally thought to have been something in the Ministry of Transport. Good-naturedly, he took the blame for deficiencies in the local bus service.“

Herron, Dead Lions, S.66

Die unaufdringliche Vielschichtigkeit des Whiskys findet sich so in einer zwar im Hintergrund agierenden, aber trotzdem treibenden Figur des Romans wieder, ebenso wie im Roman selbst, der gleichermaßen durch seine unaufgeregte, dennoch fesselnde Dynamik besticht.

Fazit

Eine großartige Lektüre, die ich jedem Krimileser ans Herzen legen möchte, der sich für mehr als nur stumpfe Action interessiert.

Ich empfehle allerdings, die Bücher im Original gelesen, was ich keinesfalls als Kritik an der exzellenten Übersetzung verstanden wissen möchte. Aber einige der Wortspiele gehen im Deutschen einfach verloren. Und wenn uns etwas (den Blick) trüben soll, dann doch der zur Lektüre genossene Whisky, und nicht das Lesevergnügen.

Zum Schluss noch ein Tipp: Mick Herron ist nicht unbedingt G.R.R. Martin aber auch er ist mit seinen Figuren nicht zimperlich. Also hängt Euer Herz nicht allzu sehr an einzelne Protagonisten. Man weiß nie, wie lange sie durchhalten. Die Arbeit beim MI5 ist gefährlich, selbst für ein Slow Horse …

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